Die Sternenkrone
Fegefeuers hatte stets eine beruhigende Wirkung auf ihn. Nicht weit entfernt sprühte Feuer aus vulkanischen Löchern, aus denen heiße Ströme von Blut und geschmolzenem Metall zischend in das Meer der Qualen herabflossen. Halbverkohlte Baracken und Lager für die niederen Ränge der Teufel begrenzten die mit Aschestaub bedeckte Niederung, während sich dahinter die schwarzen Pfeiler der Höllenberge erhoben, von denen jeder einen besonderen Greuel barg. Und im Hintergrund zeichnete sich über der Mitte der Bergkette ein schneebedeckter Gipfel ab, den Satan aus einem köstlichen Einfall heraus erschaffen hatte und wo er geeignete Strafen für die wenigen Sünder arrangieren konnte, denen Hitze nichts ausmachte. Die obersten Spitzen des Berges verloren sich in den tiefhängenden grauen Wolken, die in immerwährendem Hohn über die von der Hitze ausgedörrte Niederung jagten.
Im Vordergrund dieses großartigen Panoramas gähnte der eigentliche Höllenschlund, dessen sieben Ebenen von Dichtern besungen worden waren. Hier hatte Satan aus Sentimentalität in den letzten Jahrhunderten nur wenig verändert. Unter der siebten Ebene lag der gefürchtete Abgrund der Stille. Nicht einmal Satan selbst wußte, was sich in seinen Tiefen verbarg. Ab und zu ließ er einen besonders laut brüllenden Sünder hinabwerfen und lauschte aufmerksam seinem langandauernden, immer leiser werdenden Geheule. Doch niemals war jemand zurückgekehrt, um zu berichten, was unten vor sich ging, noch war überhaupt jemals irgend etwas von dort aufgetaucht.
Luzifer faßte hin und wieder den Vorsatz, sich eine Art menschlicher Kette auszudenken, um mit ihrer Hilfe den Abgrund auszuloten, aber für gewöhnlich war er viel zu sehr mit der immerwährenden Arbeit der Urteilsfindung und den Zwistigkeiten in der Höllenhierarchie beschäftigt.
Einer dieser modernen Wissenschaftler, der wegen exzessiver Medienpräsenz zu einem Kurzaufenthalt verdammt worden war, hatte einmal die Vermutung geäußert, daß es sich bei dem Abgrund der Stille um ein in der Entstehung begriffenes Schwarzes Loch handele, da in der Hölle Materie und Energie anderen Gesetzmäßigkeiten gehorchten, aber er überschätzte die satanische Aufmerksamkeitsspanne. Noch ehe er seine Theorie auch nur halbwegs ausarbeiten konnte, wurde er selbst hinunterbefördert. Bei dieser Erinnerung lehnte sich Luzifer weit vor und schickte seinen finsteren Blick in die noch finsteren Tiefen. Handelte es sich hier vielleicht um ein Tor, durch das irgendwelche neue Phänomene, passend zu diesem neuen Zeitalter, kommen konnten? Aber es traf nur Finsternis auf Finsternis, und er konnte keine Veränderung feststellen. Oder bemerkte er da nicht ein ganz leichtes merkwürdiges phosphorezierendes Glimmen, als ob sich dort tief unten etwas langsam regte? Er äugte so angestrengt wie möglich, ohne aber Klarheit gewinnen zu können.
In diesem Moment erschienen die Ärzte. Es handelte sich um einen Haufen halbzerfetzter Chirurgen, die in ihrem Leben besser Schlächter geworden wären, sowie einige durchlöcherte Gerichtsgutachter und ein paar angesengte Quacksalber, die von kläffenden und kneifenden jungen Trollen herbeigetrieben wurden. Luzifer drehte sich um und richtete seine furchterregenden Augäpfel auf sie, wobei er bei dieser Gelegenheit auch das dritte Auge auf seiner Stirn öffnete, das nur die Wahrheit erblickt. Auf diese Weise entdeckte er einen Arzt, der wirklich qualifiziert schien, einen erbärmlichen Wicht, der wegen eines längst vergessenen Verbrechens unter den kirchlichen Bannstrahl geraten war – irgend etwas mit Anästhesie, die er gebärenden Frauen verabreicht hatte. Als Satan erklärte, um was es sich handelte, hörte der Mann auf zu stöhnen und stimmte zu, daß eine gründliche Untersuchung eine ausgezeichnete Idee sei. Allerdings hielt er gleich die Stümpfe hoch, das einzige, was das Heilige Büro auf Erden, die Kirche, von seinen fehlgeleiteten Händen übriggelassen hatte.
»Du kannst sie wiederbekommen – nach meiner sicheren Rückkehr«, sagte Satan. Die Trolle kicherten, als sie das Aufleuchten verzweifelter Hoffnung in den Augen des Mannes sahen.
»Das Herz dürfte Euer größtes Problem sein«, sagte der Arzt. »Falls ... äh ... falls Eure Majestät eines haben.«
»Ich habe eins«, knurrte Satan. »Untersuche es auf der Stelle!«
Nachdem die Instrumente beschrieben und von den Höllenschmieden und Handwerkern angefertigt worden waren, ging der Arzt ans Werk. Obwohl
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