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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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überhäuft. Obwohl Sie unsere Quarantänemaßnahmen für die neuangekommenen Kinder sicher auch interessieren würden. Ich bin übrigens sehr stolz auf die Schwestern, die dort drüben unter großem Zeitdruck unglaublich einfühlsame Arbeit leisten. Man darf natürlich auch nicht zuviel Mitleid aufkommen lassen, wissen Sie, sonst bricht man zusammen. Wenn man die Objektivität verliert, kann man keine Entscheidungen mehr treffen. Man braucht eben das richtige Maß. Wie gesagt, ich bin sehr stolz auf meine Schwestern! Aber ich will Sie am Ende Ihres Besuchs bei uns nicht noch deprimieren. Sie haben selbst ja erlebt, wie sich die meisten Dinge hier zum Guten wenden, nicht wahr? Ist das nicht schön?«
    Das Komitee kann ihr da nur aus vollstem Herzen zustimmen.
     
    Draußen weht der Wind noch eisiger. Maylene findet einfach keinen geschützten Platz, von dem aus sie den Eingang des Zentrums gut genug beobachten könnte.
    In der Fabrik nebenan ist Nachtschicht, aber als Maylene sich dem Gebäude nähert, versperren ihr zwei große Lastkraftwagen die Sicht. Schließlich fährt ein BURGER-KING-Laster fort, und Maylene stellt sich neben einen warmen Entlüftungsschacht, von dem aus sie das Adoptionszentrum gut im Auge behalten kann. Sie steht genau unter der Rohrleitung, die von der Fabrik zum Zentrumsgebäude führt und die eigentlich auch etwas Hitze abgeben müßte.
    Gerade als es Maylene wärmer zu werden beginnt, erscheint ein Wachmann der Fabrik und ruft ihr etwas zu. Sie kann ihn nicht verstehen, weil es in diesem Augenblick in dem Rohr über ihr rumpelt. Das schabende quietschende Geräusch klingt eher nach einem Transportband als nach heißem Dampf. Die Geste des Wachmannes ist unmißverständlich – er will, daß sie verschwindet. Vielleicht hält er sie für eine Stadtstreicherin. Nun, der Gestank, der aus dem Schacht und von dem Abfallhaufen der Fabrik kommt, ist sowieso kaum zu ertragen. Maylene geht mit großen Schritten vor dem Zentrum auf und ab.
    Sie fühlt sich schon halb erfroren, als plötzlich ein Mädchen hinter ihr mit leiser Stimme sagt: »Beobachtest du auch, wer mit den Babies rauskommt?«
    »Mhm ... ja.«
    »Dann stehst du hier falsch. Komm mit um die Ecke. Sie kommen zur Seitentür raus.« Das Mädchen duckt sich wieder zwischen die Autos auf dem Parkplatz, und Maylene folgt ihr in den Schutz eines schäbigen Kleinbusses. Jetzt hat sie die beleuchtete Seitentür des Zentrums genau im Blickfeld. Gerade kommt ein Paar mit einem muschelförmigen Babykörbchen heraus. Maylene kann den Kopf des Kindes genau erkennen. Es trägt keine Schleife.
    »Hat dein Baby auch eine Schleife im Haar?«
    »Klar. Rot, mit Gold drin.«
    »Die von meinem ist gelb.«
    »Vielleicht machen sie die Schleifen ab. Was meinst du?«
    »Sag bloß so was nicht.« Sie müssen zurückweichen, weil ein weißes Ehepaar mit einem Baby herauskommt, das in dem gleichen muschelförmigen Plastikkörbchen liegt wie das Babyzuvor. Wahrscheinlich gibt das Zentrum die Körbchen umsonst mit. Der Junge hat helles, strohfarbenes Haar. Die Frau trägt das Körbchen, und als sie an dem Kleinbus vorbeikommen, sagt sie: »Das nennt man Wetter, mein kleiner Spatz. Kaltes Wetter. Du wirst es mögen, denn wir haben schon einen Schlitten für dich zu Hause. Oh, Charles, ist er nicht zum Anbeißen? Genauso, wie wir ihn uns vorgestellt haben.«
    Der Mann bleibt stehen, um ins Körbchen zu blicken. »Ja«, erwidert er glücklich. »Aber ... wenn wir ihn nicht bald ins Auto schaffen, friert er sich die kleinen Eierchen ab.«
    »Aber, Charles!« Seine Frau kichert.
    Vom Haupteingang her nähert sich langsam eine ältere, erschöpft wirkende weiße Frau. Sie bleibt an der Fahrertür des Busses stehen, hantiert mit den Autoschlüsseln und versucht, die Tür aufzuschließen. Da bemerkt sie die beiden Mädchen.
    »Oh! Es tut mir leid, ich ...« Plötzlich bricht sie in Tränen aus und lehnt ihren Kopf gegen den Wagen. Die Mädchen kommen zögernd näher.
    »Laßt nur ... es tut mir leid, ich ... o Gott, was für ein Irrtum! Was für ein schrecklicher Irrtum!« Jetzt schluchzt sie so stark, daß das Auto, an das sie sich lehnt, bebt.
    »Es wäre besser, wenn Sie sich so nicht ans Steuer setzen«, sagt Maylenes neue Bekannte, die Neola heißt. »Können wir Ihnen irgendwie helfen?«
    »N-nein.« Die Frau schleudert voller Verzweiflung den Kopf von einer Seite zur anderen. »Ein Irrtum! Wer kann sowas ahnen! Ich dachte, ich hätte alles hinter mir, vier Jahre

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