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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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und dann eilen sie zu der großen Doppeltür. Der Begleiter des Prinzen wirft einen Blick hinaus.
    »Beeil dich! Sie wird schon ungeduldig! Du lieber Himmel – sie wendet sich ab, sie schwankt! Es ist keine Zeit mehr für Erklärungen, junger Mann! Bist du stark genug, um sie zu tragen?«
    »Ja! Aber ...«
    »Dann lauf hinaus, fang sie auf und trag sie zum Altar und heirate sie!« befiehlt ihm der Alte. »Geh schon!«
    So stark ist die Verwirrung des Prinzen nach diesem emotionsgeladenen Tag, an welchem er merkwürdigen Befehlen gehorcht und daraus resultierende, noch merkwürdigere Erlebnisse gehabt hat, daß er durch die Doppeltür mitten in das Hauptschiff der Kathedrale eilt – wo ein tiefverschleiertes junges Mädchen soeben dabei ist, dieses zu verlassen –, die schmale Gestalt einfängt und sie zurückträgt zum Altar; der Erzbischof, der ein wenig kurzsichtig ist, beginnt automatisch mit dem Hochzeitsgottesdienst, und alle Einwände der Dame vor dem Altar werden vom Chor hoch oben auf der Empore übertönt, welcher augenblicklich mit dem Gesang beginnt.
    Die Hochzeitsgesellschaft ist starr vor Schreck. Und im ersten Moment relativer Stille auf dem Chor oben wirft die Priesterin ihren Schleier zurück und ruft: »Laß mich augenblicklich los, du Dummkopf! Ich bin nicht deine Königin!«
    Und tatsächlich – alle sehen, daß sie das nicht sein kann, denn sie ist so schön wie die Königin von Saba – und genauso schwarz.
    Dieser Moment allergrößter Peinlichkeit wird durch die Ankunft einer Schar Männer – allen voran die Ratsherren zusammen mit Prinz Slimoldi – beendet, welchen es mit vereinten Kräften gelingt, Adolesco durch die Doppeltür zurückzuzerren, während die anwesenden Gäste gebeten werden, die Ruhe zu bewahren.
    Die Ereignisse hinter den Kulissen, welche daraufhin ihren Lauf nehmen, kann man sich vorstellen, denn die Entdeckung des Leichnams der Königin steht unmittelbar bevor; wir müssen jedoch eine Sekunde lang innehalten, um uns zu fragen, wie es unmittelbar vor der Tragödie zu dieser – man kann es anders nicht nennen – dummen Posse kommen konnte.
    Da ist einmal der Alte, der Adolesco den blödsinnigen Befehl gab und dessen Identität nie aufgeklärt wird, da er wie vom Erdboden verschluckt ist. Diejenigen, die in diesem Fall skrupelloses Intrigantentum vermuten, nehmen an, daß es einer von Prinz Slimoldis Ratgebern gewesen sein könnte. Andere sind der Meinung, es habe sich einfach um einen senilen Kathedralendiener gehandelt, dessen Hirn so überwältigt war von den Aufregungen des Tages, daß er mit dem klaren Denken nicht mehr zu Rande kam. Das Volk ganz im allgemeinen denkt jedoch, daß Adolesco die Nachricht vom Tod der Königin vorübergehend so durcheinandergebracht hatte, daß er – nicht vertraut mit den Sitten und Gebräuchen des Landes – die Frauengestalt vor dem Altar für seine dort wartende Liebste hielt.
    Welche Erklärung auch immer zutrifft, in jedem Fall löscht diese Episode die gerade eben zart keimenden Strahlen vom Charisma des jungen Prinzen in Ecologia-Bella völlig aus. Hinauszustürzen nach dem Tod der Liebsten und den Versuch zu machen, statt dessen die Priesterin zu ehelichen – das kann einfach nicht in einem günstigen Licht betrachtet werden. Und die Ecologia-Bellaner sprechen davon zwar mit einem tiefen Seufzer, auf den jedoch unweigerlich schallendes Gelächter folgt.
    Aber ist das nicht ein Ergebnis, welches die vorausschauenderen Mitglieder der Ratsversammlung sich nur wünschen konnten? Und bedeutet es für ein kleines Land nicht ein Element der Gefahr, wenn seine Einwohner anfangen, den Herrscher eines benachbarten, nicht unbedingt befreundeten Landes der Lächerlichkeit preiszugeben? Schließlich: Ist es nicht eine der Aufgaben der Ratsversammlung, drohende Gefahren abzuwenden?
    Und so finden sich auch jene, die – entsprechend dem Grundsatz des cui bono? – vermuten, daß die Ratsversammlung von der Handlungsweise des Prinzen nicht gar so überrascht gewesen ist: Diese ging nur einfach über ihre kühnsten Hoffnungen hinaus. Aber selbst die Wohlgesonnensten unter den Bürgern von Ecologia-Bella sind mit den anderen der Meinung, daß ein junger Mann, der eine solche Verhaltensweise an den Tag legt, nicht die erste Wahl für einen König ihres Landes sein kann.
    Doch wir müssen nun zu den Räumen jenseits des Korridors der großen Kathedrale zurückkehren, wo die Nachricht, daß der jungen Königin etwas Schreckliches zugestoßen

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