Die Sternseherin
ausreichend vertraute, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber das lag leider nicht in ihrer Macht. Immerhin gelang es ihr, heil am Hotel anzukommen, die Freundin ins reservierte Zimmer zu bugsieren und die doppelt genähten Vorhänge zuzuziehen. Welch ein Glück! Leider aber war es jetzt so dunkel, dass sie selbst ihren Weg zum Bett nur durch behutsames Vorantasten finden konnte. Als ihr Fuß Bekanntschaft mit einem Stuhlbein machte, unterdrückte sie gerade noch so einen Schmerzensschrei. Doch sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Estelle lag regungslos da wie Schneewittchen in ihrem gläsernen Sarg, ihre Aura kaum wahrnehmbar, lautlos. Besorgt beugte sie sich über die Freundin und vernahm bei genauem Hinhören deren gleichmäßigen Atem. »Gott sei Dank!«, Manon ließ sich erleichtert zurücksinken. Sobald ihr Kopf das Kissen berührte, fiel auch sie in einen tiefen Schlaf.
Urian hatte den eiligen Aufbruch der Feen mit Erstaunen beobachtet und war ihnen eher aus Neugier bis nach Paris gefolgt. Dort sah er sie in einem Hotel verschwinden, und während er noch überlegte, wie dies zu deuten sei, fiel ihm eine weibliche Gestalt auf, die mit unsicherem Schritt die Straße entlangging. Er verließ seinen Beobachtungsposten auf dem nahegelegenen Dach eines typisch pariserischen Wohnhauses der Jahrhundertwende mit einem einzigen Sprung und landete leichtfüßig auf dem regennassen Asphalt und richtete sich lächelnd vor ihr auf.
Sie erkannte ihn sofort als das, was er war: eine tödliche Gefahr. Finger wie Stahlspitzen krallten sich in ihrer Schulter fest, als sie zu fliehen versuchte. Ihre Gedanken rasten, aber der Körper verweigerte den Gehorsam. Wie versteinert ließ sie es geschehen, dass Urian sie ganz nah an sich heranzog und ihr ebenmäßiges Gesicht eingehend betrachtete. Ein hartes Leben hatte seine Spuren darin hinterlassen. Das gefiel Urian und er genoss den Druck ihre Brüste an seinem Körper. Eine Sekunde lang war er sogar versucht, sie für sich zu behalten, um wenigstens heute Nacht etwas Weiches in seinem Bett zu haben. Der Duft frischen Blutes in ihrem Atem erregte ihn und er schenkte ihr ein gefährliches Lächeln. Sie erwachte aus der Reglosigkeit, hob blitzschnell das Knie und versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu befreien, dabei drang ein Fauchen aus ihrer Kehle, das nicht von dieser Welt zu sein schien. Urian spürte keinen Schmerz und verzog seinen Mund zu einem kalten Lächeln, er liebte es, wenn die Weiber Kampfgeist zeigten. Eine Sterbliche war leicht zu brechen, nicht so eine Vampirin und diese schien wirklich Esprit zu haben. Zum Schein gab er sie frei und erlaubte ihr ein paar Meter Vorsprung. Just als sie in einer Seitenstraße verschwinden wollte, hatte er seine Beute wieder eingeholt. »Willst du spielen, Kätzchen?« In ihren Augen sah er Panik aufblitzen, schnell gefolgt vom Ausdruck schicksalsergebener Resignation. Die Flucht vor einem Dämon war selten erfolgreich und sie war erfahren genug, um die Aussichtslosigkeit ihrer Situation zu erkennen. Vielleicht wollte sie auch einfach nicht mehr vor ihrem Schicksal davonlaufen. Diese Streunerin hatte in ihrem Dasein offenbar zu viel erlebt, um nicht zu wissen, dass Widerstand die Qualen des Opfers nur verlängerte.
Urian interessierte sich nicht für ihr Schicksal. »Wie ist dein Name?«
»Nekane«, flüsterte sie und versuchte ein verführerisches Lächeln, eine unvernünftige Hoffnung klang in ihrer Stimme mit, als glaube sie, der unheimliche Fremde ließe sie gehen, wenn sie ihm zu Willen war.
Die Kleine wollte also doch leben, sehr gut. »Wie passend, ich habe dich gesucht, Nekane.« Und damit machte er sie mit einem äußerst nützlichen Gegenstand vertraut: dem Holzpflock. Ihre Augen wurden vor Entsetzen riesengroß, sie stieß einen gurgelnden Schrei aus, den er schnell mit der Hand erstickte, und sackte dann in Urians Armen zusammen.
Alles Weitere war Routine. Der Dämon zerrte Nekane durch die Zwischenwelt zum Schloss seines Auftraggebers. Dort legte er die stöhnende Vampirin auf einen extra dafür vorgesehenen Tisch und stellte mit geübten Handgriffen sicher, dass sie nicht fliehen würde.
Eigentlich war es egal, was er den elenden Kreaturen ins Herz stieß, solange es dort steckte, blieben sie bewegungsunfähig. Leider galt dies nicht im gleichen Umfang für ältere oder gar geborene Vampire, deren Organismen sich durchaus ohne Zuhilfenahme der Hände des Fremdkörpers entledigen konnten, aber auf
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