Die Sternseherin
hier.« Der Dämon zeigte selten Heiterkeit, aber in diesem Moment schüttelte er sich vor Lachen.
»Tatsächlich? Ein solches Buch gibt es nicht!«
Urians gute Laune verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Ob er es leid war, sich länger den arroganten Ton bieten zu lassen, den bisher noch keiner in dieser degenerierten Familie anzuschlagen gewagt hatte, oder ob es einfach nur die dreiste Lüge war, wusste er nicht. Jedenfalls ließ er ein tiefes Grollen hören. »Es gefällt mir nicht, wie du mit deinem Meister sprichst, sieh dich vor!«
Der Mann erbleichte und seine Stimme glich einem heiseren Krächzen: »Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, es gibt kein Grimoire!«
Urian hätte beinahe laut aufgelacht. De Blavet glaubte, er ahne nichts von dem alten Buch, das die Erben der Familie seit Generationen vor ihm verbargen, weil sie es für den Schlüssel zu seiner Macht hielten. Tatsächlich kannte er nicht nur das Versteck, sondern auch den Inhalt der Schriftsammlung. Und diesen sogar besser als die momentanen Besitzer. Das Grimoire war eine in bizarrem Latein abgefasste Fälschung, in der nicht eine Formel auch nur im Entferntesten echten magischen Beschwörungen ähnelte. Er musste es wissen, denn sein eigener Vater hatte das Original verfasst. Das Verbreiten geheimer Kenntnisse wurde in der magischen Gemeinde mit dem Tod bestraft, und dem Dämon wäre es ohnehin nicht im Traum eingefallen, Sterblichen eine derartige Macht an die Hand zu geben. Stattdessen hatte er einige Kopien seiner vermeintlichen Aufzeichnungen anfertigen lassen und sie gut betuchten Sammlern für viel Geld verkauft. Geschickt gestreute Gerüchte und die Unauffindbarkeit der wenigen Exemplare trugen ein Übriges zu seinem sogar unter Vampiren legendären Ruf bei. Soweit Urian wusste, besaß die Familie de Blavet das einzige noch existierende Exemplar, das schon aus diesem Grund unabhängig vom Inhalt ein Vermögen wert sein dürfte.
Der ahnungslose Comte gab einen wimmernden Laut von sich, für den er am liebsten vor Scham im Erdboden versunken wäre – der Dämon durfte ihn nicht verachten. Was dieser wirklich dachte, war aus seiner Mimik nicht zu erkennen, glücklicherweise schien er jedoch vom Erfolg seiner Machtdemonstration befriedigt und gab ihn frei. Um Selbstbeherrschung bemüht, richtete er sich mit zitternden Knien wieder auf. »Wir haben alles für die Zeremonie vorbereitet, die meisten Brüder sind bereits eingetroffen.«
Urian spielte kurz mit dem Gedanken, dieses Mal nicht zu der albernen Farce zu erscheinen und den Gastgeber vor seinen Bundesbrüdern bloßzustellen. Dessen außerordentliche Selbstbeherrschung machte ihn wütend. Aber merkwürdigerweise mochte er den aufgeblasenen Comte. Oder es war doch nur der Hunger, der in seinen Eingeweiden tobte, der ihn diese Idee wieder verwerfen ließ. Urian entschied sich also für die zweite Möglichkeit und die Aussicht auf ein diabolisches Blutmahl. Dämonen, das hatte er bereits als Kleinkind von seinem Vater gelernt, konnten keine Sympathie empfinden. Nach allem, was er für die de Blavets getan hatte, war es bestimmt sein gutes Recht, den ständig vorhandenen Hunger nach Blut und Leid heute Nacht zu befriedigen. Bedauerlicherweise waren die Räume, in denen seine Opfer gefangen gehalten wurden, zu dieser Jahreszeit buchstäblich wie ausgestorben und er musste sich gedulden. Wortlos verschwand er. Das klirrende Geräusch, das ihn verfolgte, hellte seine Stimmung auf. De Blavet hatte eine kostbare Porzellanfigur nach ihm geworfen und negative Emotionen waren sein liebstes Dessert. Eine Leckerei dieser Intensität servierte ihm der beherrschte Hausherr selten genug.
XVIII
Asher und Julen taten ihr Möglichstes, um die Feen zu finden. Sie suchten systematisch jeden Winkel und jedes Hotel rund um den Bahnhof ab. Kurz vor Sonnenaufgang entdeckte Asher die schwache Spur. Sie führte in eine einfache Pension, doch als er versuchte, den schläfrigen Mann am Empfang um einige wichtige Informationen zu erleichtern, stellte er schnell fest, dass hier nicht viel zu holen war. Sie hatten sich lediglich ein Taxi bestellt und waren damit weitergefahren. Und dies lag Stunden zurück. Ohne die entsprechenden Kontakte war es aussichtslos, den Fahrer schnell zu identifizieren und das Fahrtziel herauszufinden. Er kehrte zu Julen zurück, der von einem Dach aus die Straße überwachte. In dieser Höhe blies ein unangenehmer Wind, den die beiden Vampire jedoch nicht
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