Die Sternseherin
sie hatte es Urian auch gar nicht abgesehen, wenn er Nachschub für die Experimente in den nebenan liegenden Labors besorgte.
Oben im Haus war noch geschäftiges Treiben. Das Château de Blavet gehörte seit mehr als zwei Jahrhunderten dem Oberhaupt einer okkulten Vereinigung. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf Urians Gesicht, als er daran dachte, wie viel er schon mit dem Irrglauben dieser Sterblichen verdient hatte. Es musste ein paar Jahre vor der Französischen Revolution gewesen sein, als seine Suche nach einem lästigen Vampir ihn in diese einsame Provinz brachte. Dieser war zwar nicht hier, doch an seiner Stelle fand er den Schlossherrn vor, der den dunklen Künsten zugewandt war. Nicht nur das, Urian platzte mitten in ein magisches Ritual. Er machte sich nicht die Mühe zu erklären, dass sein Auftauchen wenig mit dem lächerlichen Zauber zu tun hatte, der nicht einmal den geringsten aller Dämonen beschworen hätte. Selbstverständlich stimmte er zu, einen Blutpakt mit seinen vergänglichen Geschäftspartnern einzugehen. Sie hatten bis zum heutigen Tag nicht erkannt, dass dieser Kontrakt mit dem Bösen nur ihre Familie, nicht aber Urian band. Er selbst scherte sich keinen Deut um dessen Einhaltung. Die Sterblichen hatten sich und ihre unschuldigen Nachkommen sehenden Auges unauflösbar an ihn gebunden. Die Familie besaß beachtliche Reichtümer, von denen im Laufe der Jahre ein nicht geringer Teil in Urians Besitz überging. Um das Versiegen dieser Quelle zu verhindern, sorgte der Dämon dafür, dass das Schloss die Revolution unbeschadet überstand und seine Bewohner ihre Köpfe dort behielten, wo sie hingehörten, also auf ihren außergewöhnlich appetitlichen Hälsen. Damit war beiden Parteien gedient. Die Weibsstücke entwickelten sich meist ganz ansehnlich und der Dämon ließ es sich nicht nehmen, die eine oder andere gelegentlich heimzusuchen. Er hasste es, wie seine vampirischen Verwandten von menschlichem Blut leben zu müssen. So etwas war eines Dämons nicht würdig. Da eine regelmäßige Beköstigung aber nun einmal nicht zu vermeiden war, konnte er genauso gut ein wenig Spaß dabei haben. Lange währte sein Vergnügen allerdings selten, denn die Sterblichen siechten schnell dahin, sobald er begann, ihnen regelmäßig seine Aufwartung zu machen. Eigentlich war es ein Wunder, dass die Familie noch nicht ruiniert und ausgestorben war, denn dieses Schicksal traf normalerweise jede Kreatur, der Urian seine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Aber der alte Comte de Blavet hatte einen Weg gefunden, sich und seinen Clan am Leben zu halten.. Er bot Urian an, ihm einmal im Jahr einige junge Frauen zuzuführen, wenn er die Ehefrau des jeweiligen Familienoberhauptes verschonte. Die Mädchen wurden in einem verbogenen Zimmer des Schlosses gefangen gehalten, verköstigt, gepflegt und, wie es häufig nach Urians Besuchen notwendig war, medizinisch versorgt. Nicht wenige ihrer geschundenen Körper ließ das verschwiegene Personal irgendwann diskret verschwinden. Der Dämon hielt sich im Großen und Ganzen an die Abmachungen, besaß er doch damit über Jahrzehnte hinweg einen eigenen Harem. Darüber hinaus vermied er auf diese Weise Ärger mit dem Rat. Selbst er wagte es nicht, allzu offensichtlich die Regeln zu brechen. Egal ob Dämon oder Vampir, ihnen allen war es bei schwerer Strafe untersagt, Sterbliche zu versklaven. Ihn interessierte nicht, woher die Mädchen stammten, die dort gefangen gehalten wurden, und es war ihm auch egal, dass einige dem Ritual dienen mussten, das die Mitglieder des inneren Zirkels alljährlich im Dezember zu seinen Ehren zelebrierten und von dem sie glaubten, es gäbe ihnen Macht über Dämonen.
Der derzeitige Comte de Blavet war ein ebenso harter Mann wie jener Vorfahre. Seine Stimme verriet keine Gefühlsregung, als Urian wie aus dem Nichts vor ihm auftauchte. »Ist die Bestellung endlich da?«
Der Dämon betrachtete die Büste auf dem Schreibtisch des Comte und war fast versucht, sein Schwert zu ziehen, um nach einem sauberen Schnitt den Kopf des arroganten Adligen direkt daneben zu platzieren. Er schwieg.
Der Comte ließ sich nicht verunsichern. »Gralon hat immer noch keine Erfolge vorzuweisen?«
Sein unerwarteter Gast gab ein abfälliges Grunzen von sich. »Er glaubt, das Geheimnis sei in einem Grimoire zu finden. Der Dummkopf hat allerdings keine Ahnung, wo es zu finden ist. In seiner grenzenlosen Naivität hat er mich mit der Suche beauftragt. Deshalb bin ich
Weitere Kostenlose Bücher