Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Strike.
»Hinter der Ecke. Hab ich doch gesagt, dass der hinter der Ecke steckt, Mann!«
Ihre Augen sind gerötet, auf den Tischen um sie herum stehen alkoholfreie Getränke und Kekse, sie tragen Kopfhörer mit Mikro.
»Ich hab ihn nicht gesehen, Mann!«
»Du bist tot, Mann, der killt dich.«
Einmal hat sie das eine ganze Nacht lang gespielt. Sie und Harry waren ein perfektes Terroristenteam. Zehnmal hintereinander haben sie zwei Champions irgendwo aus Frankfurt im Netz zu Hackfleisch gemacht. Mit Harry wird sie aber nie wieder was spielen. Sie wird nie wieder was mit ihm machen. Am liebsten würde sie auch ihn zerhacken. Aber heute steht noch das gemeinsame Konzert an. Danach wird man weitersehen. Sie kann ihn genauso einfach ersetzen wie einen kaputten Akku. Kill the Barbie ist von Anfang an ihre Idee und ihre Band gewesen. Harry ist einfach nur dazugekommen, genauso wie Tony. Purer Zufall. Der würde nie einen eigenen Text zustande bringen. Ein Schlagzeuger ist er, mehr nicht, und nicht mal einer der Besten. Er kann bestimmt besser Counter Strike spielen als trommeln. Oder ficken.
Sie loggt sich ein. Ihr Passwort: dasistupunk01.
Am Café rattert schon wieder eine Straßenbahn vorbei. Die Fenster zittern.
»Na los«, sie tritt gegen den PC . »Mach zu, verdammt.«
Hätte sie bloß wieder ein eigenes Gerät. Ihr altes war vor einem Monat abgeschmiert. Vater hat ihr einen Laptop versprochen. Ein MacBook. Silbern und schön und irre teuer. Vanda macht es keinen Spaß, in Internetcafés herumzusurfen. Heute muss sie auf jeden Fall versuchen, ihm Knete zu entlocken. Es ist schon ewig her, dass er ihr den Mac versprochen hat. Sie muss doch was Eigenes haben. Er kann doch nicht sein ganzes Geld in die neue Tusse reinstecken. Er wird ihr das Geld einfach geben müssen. Punkt. Sonst wird sie sich nicht mehr beherrschen und Klartext mit ihm reden. Da würde er bestimmt einen Rückzieher machen. Er hatte doch immer Angst vor Emotionen. Der typische Rückzieher-Mann. Auch zu Hause. Mutter hat ihm auch immer alles entlocken können. Ein kleines Stadtauto. Eine neue Küchenzeile. Eine goldene Kreditkarte, damit sie sich jeden Monat neue Klamotten kaufen konnte. Natürlich nicht in Prag, hier gab es laut Mama keine anständigen Boutiquen. Dafür aber in London. Aber Vater hat sie verlassen und jetzt lebt sie nur noch von Tabletten und Gesprächen mit ihrer Therapeutin.
Der PC rattert, aber auf dem Bildschirm ist nur die Startseite zu sehen. Die Top-Meldung aus dem Irak oder einem ähnlich weit entfernten Ende der Welt. Schon wieder ein paar Amis bei einem Terroristenanschlag hopsgegangen. Auf dem Foto schleppen drei Soldaten eine Trage mit ’nem Typen, aus dessen Bauch Blut fließt. Vandas Lehrerin hat einmal gesagt, in zwanzig Jahren könnte es auch in Mitteleuropa einen Krieg geben, so was hätte hier früher auch immer wieder mal stattgefunden. Sie war der Meinung, dass der dritte Weltkrieg in Wirklichkeit längst da war. Wir suhlen uns hier in einer glücklichen europäischen Vergangenheit und sind uns dessen nicht bewusst, sagte sie. Natürlich. Vanda fühlt sich momentan unglaublich glücklich. Sie hasst Klugscheißer, und diese Lehrerin ist einer. Vielleicht hat Vanda ihretwegen die Schule geschmissen. Was zu Hause keiner weiß.
Endlich taucht ihre Seite auf. TONY hat geschrieben. STEEVAN . MAUREEN . Online waren SEXYWOO. MOLITAN. VITAMIN. PATHETIC LOVE. Die waren pausenlos im Netz. Ihre Augenlider müssen an Streichhölzern hängen und in ihren Adern muss Redbull fließen statt Blut, anders geht das nicht.
TONY : bisschen nervös, ja, aber wird schon schiefgehn. wird ’n guter abend. jemand ne idee für ’n neuen song?
MOLITAN : hi herzchen. hoffentlich sind heut abend auch ein paar scharfe kerle dabei, nicht nur wir trauerweiber.
STEEVAN : ich komm auf jeden fall und bring was zu rauchen mit.
MAUREEN : see u tonight, i love u, honey bunny.
SEXYWOO : hey, please, setzt mich auf die guestlist, ja? hör grad placebo . heftigst traurig. aber geil. brian molko forever! steht der überhaupt auf frauen? naja, egal.
VITAMIN : ich bring ein paar freundinnen mit, okay? freu mich.
»Klar, ich auch …«
Vanda bestellt eine Cola mit Eis und Zitrone.
Keine Nachricht von Harry. Weder hier, noch auf dem Handy. Sie würde sie allerdings eh nicht lesen. Oder doch. Sie weiß es nicht. Er ist ein Arschloch. Vielleicht poppt er immer noch mit der anderen rum.
Sie zündet sich eine Zigarette an und nimmt einen Schluck
Weitere Kostenlose Bücher