Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Kabine und strecken Malmö die Zunge heraus. Woraufhin Petr ihnen die Zunge herausstreckt. Die Mädchen lachen. Petr auch.
»Cool bleiben, Schatz, lass dich nicht ärgern.«
Er krault sie hinter den Ohren.
An der Kreuzung wartet er, bis die Elf aus Nusle vorbeifährt, und hebt grüßend die Hand. Die junge Fahrerin und er begegnen sich zweimal am Tag hier, sofern sie beide Dienst haben und alles planmäßig läuft. Miteinander gesprochen haben sie nie, aber jedes Mal lächeln sie sich an.
Die Elf zeigt ihm das Rücklicht. Er kann weiterfahren. An der Ecke vor dem KFC sitzt eine Gruppe Punker, sie betteln und spielen mit ihren Hunden. Malmö bellt sie an. Vielleicht sollte er ihr einen Ball besorgen. Oder einen Knochen, aber bestimmt nicht aus dem KFC . KaltesFäkalienChaos ist selbst für Hunde ungenießbar.
Petr schaltet seinen CD -Player aus und macht das Radio an. Die Polen seien gegen Abtreibungen, gegen die EU und gegen die Juden, die ja sowieso nie nach Mitteleuropa gehört hätten. In Ostrava werde eine neue Fabrik für koreanische Autos gebaut. Auf der D1 sei ein LKW umgekippt und habe einen halben Tag die Autobahn blockiert. Zum Schluss folgt eine Nachricht aus dem Irak, erneut sei dort ein amerikanischer Kontrollposten angegriffen worden. Ob es in Bagdad Straßenbahnen gibt? Petr hat von Bussen gehört, die in die Luft gejagt werden, von explodierenden Taxen, aber nie von einer Straßenbahn. Er stellt sich einen von diesen zu allem entschlossenen, sprengstoffumgürteten Dummköpfen in seiner Straßenbahn vor. Ob er ihn erkennen würde? Die sollen auch im Sommer lange Mäntel tragen, damit die stabile Körpertemperatur die Bomben an einer vorzeitigen Explosion hindert. Heutzutage ist Sprengstoff wahnsinnig empfindlich.
Vielleicht sähe der Attentäter wie dieser ältere grauhaarige Typ in dem langen braunen Mantel aus, der sich langsam an den stehenden Passagieren vorbeischlängelt. Er bleibt immer wieder stehen und geht dann weiter, als könne er sich nicht entscheiden, wo er stehen bleiben soll. Ein verkleideter Kontrolletti? Seitdem ihre Fotos im Netz gepostet wurden, denken die sich unterschiedlichste Verkleidungen aus, um das Volk an der Nase herumzuführen. Ein Kontrolletti ist das aber nicht. Er kontrolliert keinen.
Petrs Gedanken bleiben bei dem Attentäter hängen. So ’n Typ zieht einfach an seinem Gürtel und fertig ist die Laube. Schluss. Aus. Endstation. Vielleicht leuchtet zuerst ein weißes Licht auf, wie damals in Hiroshima. Das hat Petr im Fernsehen gesehen. Dann kommt ein Knall. In welche Richtung würde Petr fliegen? Nach vorne? Oder eher nach oben? Und die Passagiere? Wie viele Fleischfetzen ergibt ein Mensch? Und was dann? Krankenwagen. Polizei. Fernsehteams.
Prag wäre für einen kurzen Moment wieder der Nabel der Welt, wie neulich bei der Flut, die beinahe die Karlsbrücke mitgenommen hätte. Danach hatten die Touristen Schiss gehabt zu kommen, und die Straßenbahnen waren rappelvoll, weil die Metro vollgelaufen war.
DIE UNTERREDUNG
P olish beggars.«
Dave hat den Schlips gelockert, seine Füße auf den Tisch gelegt und wippt in seinem monströsen Schreibtischsessel. Seine handgenähten Schuhe glänzen. Auf so was legt Dave großen Wert.
Das riesige Fenster hinter seinem Rücken führt in einen Park. Zwei Vögel fliegen vorbei. Vielleicht Elstern. Auf die Schnelle kann Wayne das nicht genau erkennen.
Er hockt auf einem mächtigen roten Ledersofa. Ob Dave es schon mal einer auf diesem Ding so richtig besorgt hat? Julia? War ihre Pussy richtig nass? Neben Waynes Kopf hängt ein Fernseher an der Wand. Ein riesiger Flachbildschirm. Als sie am 11. September den ganzen Tag auf den Bildschirm gestarrt haben, hatte Dave noch keine solche flache Kiste gehabt. So was wurde damals noch nicht hergestellt. Unter dem Fernseher leuchtet matt eine elegante weiße Stereoanlage. Auf dem Konferenztisch vor Wayne steht eine Cola light mit Eis. Er hat sie bisher kaum angerührt.
Sein Blick streift das abstrakte Bild eines jungen tschechischen Avantgarde-Malers mit internationalem Flair, den Dave vor ein paar Jahren zu seiner Zukunftsinvestition auserkoren hat. Ganze fünf Bilder hat er von ihm gekauft. Sie hängen jetzt im Flur, im Besprechungsraum und in seinem ansonsten sehr kühl gehaltenen Büro. Dave ist der Meinung, abstrakte Kunst fördere die Kreativität, er denkt, die Fähigkeit, verborgene Inhalte in Kunst zu finden sei die Voraussetzung dafür, ein erfolgreicher Arzt, Manager
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