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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaroslav Rudis
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Dave gegenüber anspricht, hält der ihn nur für einen hochsensiblen Loser. Wayne weiß ja selbst, dass ihm etwas Ruhe am besten täte. Vor allem aber sollte er endlich zum Telefonhörer greifen. Und in Delaware anrufen.

ABGESCHNITTEN
    D ejvická. Die Bustür geht auf und Hana saugt begierig frische Luft ein. Um sie herum dröhnt der Autoverkehr, sie hört ihn aber nicht. In ihren Ohren spielen Tocotronic , eine Erinnerung an die Berliner Studienzeit.
    Als die Band in der Columbiahalle auftrat, hat sich Hana eine Karte gegönnt, zur Belohnung für eine bestandene Prüfung. Es war ausverkauft, aber Hana stand ganz vorne, in Schweiß gebadet und glücklich. Sie sang jeden Refrain mit, tanzte und fuchtelte wie wild mit den Armen, bis sie ihrem Nachbarn die Brille von der Nase schlug. Sie haben sie aber wiedergefunden, Jens und sie.
    Er studierte Meteorologie an der FU Berlin. Genau dort hatte Hana auch ihren Abschluss in Kulturwissenschaften gemacht. Er fasste nach ihrer Hand und ließ sie bis zum Ende des Konzerts nicht los. Das fand sie gut. Und ihn auch. Sie stand schon immer auf Typen mit Brille. Es endete mit einer Knutscherei im Regen an der Bushaltestelle direkt vor der Columbiahalle. Sie schmiegten sich aneinander, seine Hände streichelten ihre Brüste und ihren Hintern, sie spürte, wie erregt er war. Sie fasste ihn an. Dann kam der Bus und sie stiegen ein. Tauschten Telefonnummern aus. Er hatte nicht angerufen. Sie auch nicht. Eine Woche darauf kehrte sie nach Prag zurück und einen Monat später traf sie dort den Mann, mit dem sie bis heute zusammenlebt.
    Tocotronic .
    Die Songs hatten ihr schon mal besser gefallen. Jetzt findet sie die Lieder plump, berechenbar und voller Selbstmitleid. Mehr Pop als Rock. Eher was für Jungs als für Mädchen, Selbstmitleid ist ohnehin eher Männersache. Etwas altmodisch, denkt Hana. Vielleicht waren sie das schon in Berlin gewesen, sie hat es bloß in dem Moment nicht so empfunden. Aber es war eine schöne Erinnerung und eine Erinnerung zählt auch dann, wenn sie nur wärmt und einen nicht mehr nach vorne treibt. Deswegen mag Hana so gerne Musik. Mit Hilfe von Musik kann sie sich jeden Moment in ihrem Leben zurückholen, aus dem sie Wärme ziehen kann. Vielleicht sollte sie wieder mal ein Konzert besuchen.
    Die Straßenbahn kommt. Sie steigt ein. Nur noch ein paar Haltestellen bis nach Hause. Hrad č anská. Sparta. Letenské náměstí. Danach muss sie nur noch die Kreuzung überqueren und im Schatten der Bäume weiterlaufen, während der Lärm der Hauptstraße langsam verebbt.
    Vor einem neu verputzten leuchtend orangefarbenen Haus wird sie stehen bleiben. Den Schlüssel aus der Handtasche fischen, die Post aus dem Briefkasten holen und im Fahrstuhl bis zur obersten Etage fahren, in der es nur eine einzige Wohnung gibt. Ihre gemeinsame Wohnung.
    Jetzt aber steht sie noch in der Straßenbahn. Einer der Fahrgäste riecht nach Schweiß. To cotronic singen:
    Let there be rock.
    Let there be rock.
    Die überfüllte Straßenbahn fährt auf die Pulverbrücke hinauf, die Gleise, die auf den Bahnhof von Dejvice zulaufen, bleiben zurück, und plötzlich passiert es. Die Zeit setzt aus. Zumindest die von Hanas iPod. Er hört auf zu spielen. Hana zieht ihn aus der Tasche. Das Display leuchtet. Tocotronic grölen vermutlich weiter vor sich hin, etwas von Freiheit und von Rock, sie aber hört es nicht. Jemand hat Hanas Kopfhörer durchgeschnitten.
    Sie sieht sich um.
    Kann es das Mädchen mit den Dreadlocks gewesen sein? Oder die Frau mit der Einkaufstasche von Tesco, die ihre Schuhe zum Schuster bringt? Der ältere Typ in dem braunen Mantel? Oder die zwei Punker, die sie so blöd anglotzen?
    Die Straßenbahn tuckert weiter. Hana hält das durchtrennte weiße Kabel in der Hand. Die Kopfhörer stecken immer noch in ihren Ohren. Sie wird sich dessen erst nach einer Weile bewusst, nimmt sie heraus und legt sie zusammen mit dem iPod in ihre Handtasche. Sie wird rot. Als hätte man nicht ihr einen Streich gespielt, sondern sie selbst etwas falsch gemacht. Als hätte man sie wieder mit Hausschuhen im Supermarkt erwischt, wie damals, als sie ein kleines Mädchen war und die Verkäuferinnen sich vor lauter Lachen nicht wieder einkriegen konnten.
    Jetzt ist sie allerdings rot vor Wut. Bestimmt war das einer von den Punkern dort drüben. Wer denn sonst? Vielleicht der, der gerade an seinem Ohrring zupft? Arschloch.
    Auf dem Display leuchtet immer noch:
    Let there be rock.

BEFREIUNG
    V

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