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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaroslav Rudis
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care about us.
    You don’t care about us.
    Sie betritt den Laden, um nach dem Preis der schwarzen Converse mit den Rauten zu fragen. Sie würde sie anprobieren. Ja, das macht sie. Und sie holt sie nachmittags ab. Die Verkäuferin lächelt sie an, selbstverständlich legt sie ihr die Schuhe zur Seite! Vanda bemerkt ein schwarzes T-Shirt mit einem rosa Schädel drauf. Sie probiert es, sie sieht prima darin aus, und die Verkäuferin zeigt ihr noch einen schwarzen Ledergürtel mit spitz zulaufenden Metallnieten, der gerade aus Berlin geliefert wurde. Und eine grüne italienische Ledertasche mit kleiner rot gestickter Japanerin mit großer Brille über das halbe Gesicht. Mit genau der gleichen Brille, wie Vanda sie trägt.
    Sie schaut sich alles an. Lächelt, nickt mit dem Kopf und sagt, nachmittags holt sie alles ab. Shoppen wirkt beruhigend auf sie, das weiß sie schon lange.
    Sie unterhält sich mit der Verkäuferin, nimmt die Brille aber nicht ab. Die Kopfhörer auch nicht. Wenn man nichts Echtes zur Hand hat, ist Musik auch ein gutes Placebo.
    It’s your age, It’s my rage.

FREQUENZEN UND GEGENFREQUENZEN
    V ladimír kennt die Ursache für den Tod seiner Frau. Er weiß, warum sie gestorben ist. Warum sich die Krankheit, die sich in ihren Knochen ausbreitete, nicht aufhalten ließ, warum sie immer mehr von ihr Besitz ergriff, ihren Körper allmählich deformiert, verbogen und zusammengepresst hat, als liege er unter ungeheurem Wasserdruck am Meeresgrund.
    Seine Frau war dabei zu gehen, und er konnte nichts für sie tun, als nur zuzusehen, ihre Hand zu halten und zu hoffen, dass bald das Schlimmste einträfe, immer wieder schoss ihm dieser furchtbare Gedanke durch den Kopf, Vladimír schämte sich dafür und gleichzeitig konnte er nicht anders. Er wünschte sich, ihr Leiden möge bald ein Ende finden.
    Vladimír weiß, warum er kurz danach seine Arbeit in der Philharmonie verloren hat. Von wegen er habe sein Gehör verloren. So ein Unsinn. Das absolute Gehör kann einem nicht abhanden kommen. Es liegt nicht einfach auf der Straße. Entweder man hat’s oder man hat es nicht, dazwischen ist nichts. Man hat ihn rausgeschmissen, weil jemand anders seinen Platz haben wollte. Und man mochte nicht, dass er die Gesellschaft der anderen mied, dass er Selbstgespräche führte und nach dem Tod seiner Frau immer wieder über Dröhnen und Hämmern in seinem Kopf klagte, über den ewigen Tinnitus und darüber, dass er manchmal hörte, was den anderen verborgen blieb. Die Stimmen der Zukunft und der Vergangenheit. Menschliche Stimmen. Stimmen der Stadt. Stimmen der stöhnenden Stadt.
    Vladimír weiß, warum er vom Rest seiner Familie abgeschnitten wurde, von seinen Kindern, mit denen er sich nicht mehr verstand und die dachten, dass er psychisch krank geworden sei. Die ihn zwangen, zu einer Ärztin zu gehen, die es allem Anschein nach ebenfalls dachte, und ihm deswegen Mittel verschrieb, die stumpfe Schmerzlosigkeit und Schlaf verhießen. Er nahm sie aber nicht.
    Vladimír weiß, warum er von anderen Hausbewohnern, von den Menschen auf der Straße, von allen in seiner Stadt abgeschnitten wurde.
    Vladimír weiß, warum er allein ist, warum er seit langem mit keinem redet.
    Vladimír weiß, warum die Stadt stöhnt, sich vor Schmerzen krümmt und zerfällt, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Nicht einmal den Menschen, die hier leben. Den Touristen schon gar nicht.
    Es ist der Lärm.
    An allem ist der Lärm Schuld. Das Getöse. Das Dröhnen. Das Chaos. Der Lärm, hinter dem sich die Menschen verschanzen, weil sie Angst voreinander haben. Lärm, in den sie sich bereitwillig flüchten. Lärm, von dem sie eingeholt und vernichtet werden, ohne es überhaupt zu bemerken. Die Lärmepidemie.
    Der Lärm hat die Welt in Brand gesetzt und Vladimír den Krieg erklärt. Oder Vladimír hat ihm den Krieg erklärt. Es läuft auf dasselbe hinaus.
    Vladimír nahm die Kriegserklärung an, weil er wusste, im Falle des Sieges bekäme er alles zurück, was er verloren hatte: seine Frau, seine Kinder, seine Arbeit, sein altes Glück, Ruhe und Freiheit.
    Er war sich seiner Sache so sicher, dass er seine Wohnung in eine kleine Fabrik verwandelte. In eine Elektrowerkstatt, in der es nach Zink und Kolophonium stinkt. In ein Labor, in dem Rechnerbildschirme und Messgeräte blinken.
    Auf der Arbeitsplatte, die sich in der Mitte des Wohnzimmers befindet, türmen sich Mikrofone und Kopfhörer, Tastaturen und Lötkolben, Spulen, Drähte und Kabel, Werkzeuge

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