Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaroslav Rudis
Vom Netzwerk:
der Welt, verborgen am Rande der Fernsehnachrichten. Aber Vladimír hört, wie er immer näher rückt.
    Er steht vor dem Regal mit Spirituosen. Welchen Wodka soll er bloß nehmen? Er entscheidet sich für den einheimischen aus Prag. Die feingliedrige Verkäuferin gibt ihm mit einer Hand das Restgeld raus, mit der anderen tippt sie eine Textnachricht nach der anderen.
    Er zahlt und verstaut die Flasche in seiner Manteltasche. Die Nachbarin wird vermutlich denken, er sei Alkoholiker geworden. Womöglich fängt sie wieder mit ihrer Mitleidstour an. Vladimír braucht aber kein Mitleid.

ESPRESSO
    S ie liest das Buch der Unruhe und wird immer ruhiger. Ob es am blauen Himmel und am Sonnenschein liegt? Der Sommer ist offensichtlich noch nicht zu Ende und wird sich noch für ein paar Tage behaupten können. Zudem heizt die Weinschorle herrlich das sommerliche Lebensgefühl an. Ebenso der Instantkaffee, den sie aus einem Pappbecher schlürft. So etwas würde Wayne nie im Leben zu sich nehmen. Lauter Chemie, würde er sagen. Wayne ist auf einem Bio-Trip.
    Ein etwa fünfzigjähriger Typ in enganliegendem Sportdress rennt an Hanas Parkbank vorbei. Auch der ist ziemlich Öko. Hana steckt sich eine Zigarette an. Die erste seit Jahren. Das Rauchen hat sie in Genf gelernt. Dort war sie die ganze Zeit allein, anders als in Berlin, wo sie schnell neue Leute kennenlernte. In Genf wollte das Kennenlernen irgendwie nicht so recht klappen, vielleicht war es damals auch gar nicht möglich, weil ihre Gedanken noch zu stark um eine einzige Person kreisten und es Hana nicht erlaubten, sich mit anderen Menschen zu beschäftigen. Vielleicht wollte sie in Wirklichkeit keine neuen Freunde haben. Auf jeden Fall hat sie dort das Rauchen angefangen. Jetzt schmeckt es ihr nicht. Sie drückt die Zigarette auf der Bank aus.
    Ich empfinde die Zeit als etwas überaus Schmerzliches. Was auch immer ich verlasse, ich verlasse es mit übertriebener Rührung … Zeit! Vergangenheit! … Das, was ich war und nie wieder sein werde! … , liest sie leise. Freiheit ist die Möglichkeit zur Isolation.
    Zu ihren Füßen liegt die unruhige Stadt im Würgegriff von Autokolonnen, die Dächer glänzen golden in der Nachmittagssonne und Hana wird klar, dass sie sich hier auf der Letná zu Hause fühlt. Dass sie hier leben könnte. Die muffige Stadt kann man hier oben zwar sehen und hören, aber riechen kann man sie nicht. Hier weht ein Wind, der Hanas Haare zerzaust. Auf einmal verspürt sie einen Stich, als schösse eine dünne Nadel durch ihren Körper. Sie empfindet keinen Schmerz. Im Gegenteil. Von unten nach oben breitet sich in Hana die Erinnerung an Lissabon aus.
    Das Hotelzimmer. Hana sieht sich im Spiegel dabei zu. Sie beobachtet ihren nackten Körper und fühlt sich erregt. Thomas hält ihre Hüften und besorgt es ihr von hinten. Heftig. Mit Ausdauer. Sie stöhnen beide. Schwitzen. Schreien. Thomas ruft die Erinnerung an jemanden in ihr wach. An eine frühe Liebe von ihr, die längst aus ihrem Leben verschwunden ist. Zum Glück. Sonst wäre vermutlich sie selbst nicht mehr am Leben.
    Hana schreit. Er dringt noch einmal tief ein. Dann spürt sie sein Sperma ihren Oberschenkel herunterlaufen. La petite mort.
    Thomas. Was er wohl macht? Ob er sich gerade in Barcelona einen Nachmittagsespresso genehmigt? Hat er sich dort auch eine Frau angelacht und läuft jetzt mit ihr durch die Stadt? Fahren sie ebenfalls zusammen Straßenbahn, vielleicht sogar die Strecke, auf der Gaudí von einer Tram erfasst wurde?
    Nevermind. Diese Platte von Nirvana gefällt Hana ganz gut.
    Sie hat nicht die Wahrheit gesagt, als sie ihm erzählte, er wäre ihr gleich bei der Eröffnung der Konferenz aufgefallen, jener Konferenz, für die mit dem Antlitz von Fernando Pessoa und seinem Zitat Ob es nun Götter gibt oder nicht, wir sind ihre Knechte geworben wurde. Wer sollte hier Gott sein? Die Europäische Union? Und die EU -Beamten die Knechte? Wenn das stimmt, dann gibt es keinen Grund zur Freude. Europa wird von einer geschlechtslosen Einheit der Kostüme, Anzüge und Gedanken regiert, alles von der Stange, bequem, vertraut und öde.
    Sie wollte Thomas nicht sagen, dass sie anfangs ein Auge auf seinen jüngeren belgischen Kollegen geworfen hatte. Auch er hat eine Brille getragen. Und auch er hat sie angelächelt.
    Thomas und sie haben sich in der Schlange vor dem Kaffeeausschank kennengelernt. Sie standen beide an der langen Theke. Die Maschine setzte für einen Moment aus. Thomas, der vor

Weitere Kostenlose Bücher