Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
ihr an der Reihe war, bot Hana galant seinen Espresso an. Sie lehnte ab, um im gleichen Augenblick doch nach ihm zu greifen. Genauso wie Thomas. Die Tasse kippte um. Ein paar Minuten später dampfte aber ein neuer Espresso vor ihnen. Stark. Kurz. Mit einem kleinen Würfel Zucker, der sich langsam auflöste.
Sie hatten ihren Kaffee längst ausgetrunken und die Konferenz über das gemeinsame Kulturerbe von Europa war längst im Gange. Und sie standen immer noch an dem großen Fenster mit Blick in einen gepflegten Garten voller bizarr zugeschnittener Büsche und unterhielten sich. Thomas war gerade in Prag gewesen. Hana hatte in Berlin studiert. Thomas arbeitete dort. Hana hatte am Prenzlauer Berg gewohnt. Thomas wohnte in der Nähe vom Kollwitzplatz. Dort hatte Hana ein halbes Jahr schwarz als Bedienung gearbeitet. Im Café Sowohl als auch . Hundertmal am Tag Einen Milchkaffee, bitte!
Thomas hat noch nie schwarz gearbeitet.
Sie blickten aus dem Fenster, der Himmel war stechend blau, und Hana kam es vor, als führe das Fenster nicht in einen Garten, sondern in eine Unterwasserwelt, auf den Grund des Ozeans, wo absolute Stille und Friede herrscht. Einer der Büsche sah wie ein Seeigel mit Punkfrisur aus. Ein anderer wie eine dicke Qualle aus einer alten Jules Verne Verfilmung.
Thomas schlug vor, die Biege zu machen. Dabei legte er ihr den Arm um die Schulter. Er sah sie nicht an. Hana war unsicher, vielleicht sollten sie doch bleiben. Thomas sagte, er wisse ganz genau, dass sie gehen sollten. Und zwar sie beide und jetzt sofort.
»Gut.«
Sie huschten schnell an der Tür vorbei, hinter der eine Stimme über die christlichen Fundamente des vereinten Europa dozierte, die uns seit über tausend Jahren zusammenhielten. Beim Vorbeigehen konnte sie noch einzelne Worte ausmachen: europäische Verfassung, kulturelle Wurzeln, die Identität, die Türkei, die Einheit, das Gegengewicht zu Amerika …
Armer Pessoa.
Es war unverkennbar, dass es Europa auch ohne sie aushielt. Zumindest die nächsten paar Stunden. Thomas und sie holten ihre Jacken aus der Garderobe und liefen durch den Park in die Innenstadt.
PRAG – MALMÖ – LISSABON
E s ist nicht der erste Unfall, in den Petr verwickelt ist. Sein erster hat sich auf der Strecke Prag-Malmö-Lissabon abgespielt. Das war die Tour, auf die sich Klára und er begeben hatten. Sie hatte auf dem Basar in Let ň any einen alten kantigen Volvo gekauft, mit zerkratzten Türen, rostigen Trittbretthaltern und einem Elchaufkleber auf dem Kofferraumdeckel. Er seinerseits hatte seinen Bausparvertrag aufgelöst, damit sie unterwegs genug Geld hätten. Sie stopften das Auto mit Getränken, Essen, Zigaretten und Musik voll. Ihrer Lieblingsmusik. Sie packten noch Malmö ein und fuhren los.
Klára war fünf Jahre älter als Petr. Kennengelernt hatten sie sich im Akropolis bei einem Konzert. Priessnitz. Sie wollte hin – Priessnitz war seit Jahren ihre Lieblingsband –, verbrachte dann aber doch das ganze Konzert mit Petr auf der Eingangstreppe. Petr mochte die Musik nicht besonders, er sprach abfällig von Holzfällerromantik, da lachte sie aber laut auf, sie mochte die Band schon, seit sie eine kleine Gymnasiastin war.
Zu Kláras Füßen hockte ein großer weißer Hund. Konzertbesucher liefen die Treppe hoch und runter, Petr und Klára tranken warmes, schäumendes Bier aus 0,3l-Flaschen und plauderten über die besten Konzerte, die sie besucht hatten.
New Order.
Afghan Whigs.
Red Hot Chili Peppers.
David Bowie.
The Young Gods.
Sonic Youth.
Klára trug ein T-Shirt mit britischer Flagge und eine verwaschene Jeans. Sie hatte keinen BH an. Groß und schlaksig wie sie war, sah sie von Weitem eher wie ein Junge aus. Außerdem hatte sie eine Glatze. Vielleicht war es das, was Petr so angezogen hatte. Ihn erregt hatte. Bestimmt.
»Du hast schöne Augen.«
»Schöne?«
»Irgendwie … so bläulich blaue, finde ich.«
»Wusst’ ich gar nicht. Malmö, mach dich bekannt, das ist Herr Dermerktaberauchalles«, sie kraulte ihren Hund hinter den Ohren.
»Petr.«
»Klára … Also wie war das mit meinen Augen?«
»Sagen wir mal: richtige Nimm-mich-ins-Bett-Augen.«
»Trägst du vielleicht ein wenig zu dick auf?«
»Bin bloß ehrlich.«
»Ne Nummer zu schnell.«
»Nee. Ich doch nicht.«
»Wer denn sonst?«
»Du.«
»Hör mal, ich hab mir grad wegen so einem Plappermaul die Haare abrasiert. Der hat mir auch ständig damit in den Ohren gelegen, was für schöne Augen ich hab. Keep
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