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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaroslav Rudis
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es Richtung Norden. Dresden. Berlin. Sassnitz. Malmö.
    Sie redeten ununterbrochen. Erzählten die Lieblingsszenen aus ihren Lieblingsfilmen nach. Lola rennt. Die zwei Leben der Veronika. Fargo. Pulp Fiction. Und die Lieblingsszenen aus ihren Lieblingsbüchern. Petr zitierte aus Die Entdeckung der Langsamkeit . Klára aus Das Buch der lächerlichen Liebe . Petr Ich habe den englischen König bedient . Klára Die Unsterblichkeit .
    Immer wieder entdeckten sie neue Gemeinsamkeiten, immer weiter redeten sie und hörten Musik, Unmengen von Musik, vor allem die aus den 80ern und aus der ersten Hälfte der 90er. Klára liebte diese Zeit, sie sagte, damals hätte die Musik noch Gefühle vermittelt. Einen Reiz gehabt. Eine Botschaft. Das alles wurde später von Techno erstickt, sagte sie, und auch wenn heutzutage von Techno – Gott sei Dank – kaum noch was zu spüren ist, sind all die neuen Songs und neuen Bands nur ein schwacher Abklatsch des Vorangegangenen. Ausgelutscht wie ein zwanzigmal benutzter Teebeutel. Petr stimmte ihr zu.
    Immer wieder legten sie Massive Attack ein. New Order. The Cure. Joy Division. Jesus and Mary Chain. The Smiths. Radiohead. Suede. Blur. Manche der Bands hörten sich leicht lustig an, manche einen Tick zu pathetisch, einige klangen immer noch perfekt.
    Sie rauchten eine nach der anderen, hielten auf Rastplätzen an, um dort zu essen oder sich auf den zurückgeklappten Sitzen zu lieben. Malmö sah ihnen die ganze Zeit zu.
    »Ich will mit dir reden. Ich will alles von dir wissen. Wirklich alles«, sagte sie gleich vor Dresden. »Ich will dir sechzigtausend Stunden zuhören.«
    »Du wirst vor Langweile umkommen.«
    »An etwas muss man sterben.«
    »Ein langweiliges tschechisches Leben liegt hinter mir. Vor mir sieht es vermutlich nicht anders aus.«
    »In Böhmen kann man auch kein anderes Leben haben.«
    »Vielleicht ist das immer so.«
    »Was?«
    »Dass man das Gefühl hat, das echte Leben findet irgendwo anders statt, da das eigene Leben leer und langweilig ist. Und dabei finden andere es womöglich irre spannend.«
    »In meinem ist die Spannung wohl eher unsichtbar.«
    »In meinem ist noch keine reingekommen.«
    »Fang endlich an. Erzähl.«
    »Aber wir wechseln uns nach einer Stunde ab.«
    »Beim Fahren?«
    »Dabei auch. Ready to go?«
    »Ja. Nein. Warte …«
    Sie zog sich die Schuhe aus, stützte ihre nackten Füße auf dem Armaturenbrett ab und drehte die Musik etwas leiser. Sigur Rós. Ihre Wahl. Die Einzige von den neuen Bands, die noch was draufhat, wie sie sagte. Immer wieder ließ sie den siebten Song mit Klavier und Gitarre laufen, der langsam und gemächlich wie die nächtliche Ostsee in die Gänge kam, zum Schluss aber anschwoll und sich lautstark mit der Nordsee vereinte.
    »Jetzt.«
    »Als ich auf die Welt kommen sollte, wollte es bei Mutter irgendwie nicht klappen. Dann aber wurde die Tschechoslowakei von einem kleinen Erdbeben erschüttert und als alles zu zittern anfing, fiel ich aus ihr raus. Ich öffnete die Augen und machte sie gleich wieder zu, weil keiner eine Band mit mir gründen wollte.«
    »Soll das ein Witz sein? Hast du wirklich mal ’ne Band gründen wollen?«
    »Ich kann kein Instrument spielen.«
    »Ich auch nicht. Aber das ist egal. Hauptsache, du weißt, dass du es willst. Dass du es machen musst. Dass du ein Ziel hast.«
    »Hast du ’ne Band?«
    »Bei mir hat’s auch nicht geklappt. An dem Tag, als ich geboren wurde, hat die Tschechoslowakei beim Eishockey den Sowjets den Hintern versohlt. Mein Vater musste das unbedingt begießen, er fasste es als Widerstand auf. Er kam erst drei Tage später nach Hause, total blau. Und er hatte einen absoluten Filmriss, er wusste nicht mal, dass seine Frau in der Geburtsklinik lag. Als er das erfuhr, war meine Geburt ein göttliches Zeichen für ihn. Ein Wunder. Er wollte, dass der Kleine Hockey spielt.«
    »Die Kleine, meinst du.«
    »Nein, der Kleine. Vater war sicher, einen Sohn bekommen zu haben, obwohl man ihm gesagt hatte, dass ich ein Mädchen war.«
    »Hast du dann wirklich Eishockey gespielt?«
    »Nein. Aber Fußball. Ich habe sowieso nur mit Jungs gespielt, ich wollte keine Mädchen als Freundinnen haben. Auch auf dem Gymnasium nicht. Die heulten doch alle nur ständig, das machte mich wahnsinnig. Damals hab ich mir zum ersten Mal wegen eines Typen die Haare abrasiert. Meine Mutter hat beinah der Schlag getroffen.«
    »Ich hab wiederum immer nur mit Mädchen spielen wollen, die wollten aber nicht, also musste

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