Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Rumänin.
»Ich hab doch auch gar nichts gesagt … Bestimmt kannst du nichts für. Es kommt nur drauf an, wie das die Bullen sehen.«
»Fuck off, Straßenbahner!«
Petr greift nach seiner Jacke und steckt den CD -Player und die Zigaretten in die Tasche. »Malmö, lass uns gehen.«
»Wo willst du hin? Was soll das denn? Hast du zu viel Sonne abgekriegt oder was?«, hört er Hrouda in seinem Rücken blöken. »Du fliegst raus.«
»Will ich auch.«
»Du hast wirklich ’nen Knall. Lauf ihr doch nach«, sagt ein Kontrolletti.
»Wie lange dauert’s noch?«, fragt der BMW -Fahrer.
Seine junge Begleiterin lehnt nach wie vor am Wagen und wartet. Ihr Gesicht ist noch immer aschfahl, sie hört nicht auf, ihre geröteten Arme zu kratzen. Das metallene Armband glänzt in der Sonne, es ist zu groß für ihr schmales Handgelenk.
Endlich mal auf alles pfeifen.
Petr geht mit großen Schritten auf die Brücke zu und Malmö trottet neben ihm her. Auf der Brücke steht der Verkehr, es geht weder vor noch zurück. Petr geht langsamer. Jemand hupt.
»Wissen Sie, was passiert ist?«, fragt der Fahrer eines Ford Transit mit der Aufschrift BÄCKEREI NUSLE .
»So ein junger Idiot wurde von ’ner Straßenbahn erwischt.«
»Ist der hin, ja?«
»Sofort tot.«
Petr zieht die Zigarettenschachtel und sein Feuerzeug heraus. Leben heißt warten, auf dass einem jemand Feuer gibt, denkt Petr, Leben heißt warten, dass jemand mit dem Finger schnippt und dich ein paar Schritte nach vorne schiebt. Wenn es keinen um einen herum gibt, muss man es allein versuchen. Petr ist allein.
Höchste Zeit aufzuhören, Frauen aus ihren Problemen herauszuhelfen. Aufzuhören, sich als Retter aufzuspielen. Der vor Peinlichkeit strotzende Erlöser. Keiner Frau mehr Feuer zu geben. Sich nie wieder von einer verlassen zu lassen.
Auf alle und auf alles pfeifen.
»Malmö, wir gehen dann mal«, er krault sie hinter den Ohren.
Auf alles pfeifen.
Als er bei seiner Straßenbahn auftaucht, starren ihn die Blauuniformierten an wie eine Erscheinung. Hrouda auch. Nur der BMW-Typ und seine Kleine nehmen ihn gar nicht wahr. Die Bullen haben Fotos gemacht und die Gaffer weggeschickt. Die Untersuchung ist noch nicht zu Ende. Aber bald wird das Auto in die Garage abgeschleppt und die zerbeulte Straßenbahn im Schritttempo ins Depot gebracht.
Diesen Dienst will ihr Petr noch erweisen.
»Unsere letzte Fahrt, Malmö.«
MITLEID
V ladimír betritt den Vietnamesenladen. An der Kasse stehen ein paar Kunden, in der Ecke flimmert ein Fernsehbildschirm, es läuft eine asiatische Telenovela.
Vladimír bemerkt die Frau aus der Nachbarwohnung, sie hält Bananen und Tomaten in der Hand. Sie begrüßen sich. Ihr Blick bleibt etwas länger an Vladimír hängen als üblich. Sie ist nur ein paar Jahre älter als er und ebenfalls verwitwet. Sie geht keiner Arbeit nach. Von morgens bis abends lärmt in ihrer Wohnung der Fernseher, das Placebo gegen die Einsamkeit. Nachdem Vladimírs Frau für immer gegangen war, hat sie versucht, ihn aufzumuntern. Immer wieder hat sie ihn auf einen Kaffee eingeladen und ihm selbstgemachten Apfelstrudel gebracht. Gerne hätte sie das Kochen, Wäschewaschen und Bügeln für ihn übernommen. Sie war erpicht darauf, seine Wohnung zu sehen, ob sie sonniger sei als die ihre, die ja nach Norden rausgeht. Er hat sie nie reingelassen. Jedes Mal hat er eine andere Ausrede erfunden: Unordnung, Kopfschmerzen, Magenverstimmung, ein imaginärer Besuch. Schließlich hat sie aufgegeben. Vladimír wollte kein Mitleid. Mitleid ist nur ein Placebo, ein Liebesersatz.
Die Nachbarin duzt die Vietnamesen. Das kann Vladimír nicht ausstehen. Sein Vater hat erzählt, wie deutsche Offiziere ihn im Krieg in der Schneiderwerkstatt geduzt haben. Und Vladimír selbst weiß noch zu gut, wie russische Offiziere und ihre Frauen während der sowjetischen Okkupation alle Tschechen mit Du angeredet haben. Vielleicht wähnt sich die Nachbarin auch in einem Krieg, in dem sie sich wie die Siegerin vorkommt, obwohl ihre Beine wie Kannen aussehen und ihr Bauch einem Riesenkürbis gleicht. Vladimír kann hören, wie sich eine Krankheit in ihrem Körper einnistet, die ihr in ein paar Jahren das Herz in Stücke reißen wird.
Was wird die Nachbarin wohl sagen, wenn eines Tages Prag von bärtigen Männern mit Sprengstoffgürteln überflutet wird? Im Moment fühlt sie sich in Sicherheit. Sie hat bestimmt noch nie über so etwas nachgedacht. Für sie ist der Krieg weit weg, irgendwo am Ende
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