Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
einen Schein heraus. Ihre Augen glänzen feucht. Wie an jedem anderen Tag auch. Vanda weiß, dass Mutter gleich eine Flasche Weißwein aufmachen wird. Und dass sie abends zu keinem Konzert mehr geht.
»Ich hab dich lieb, ja?«
»Ich dich auch.«
QUER ÜBER DEN OZEAN
J etzt oder nie. Wayne nimmt den Hörer und tippt 001 ein, dann die direkte Nummer von Delaware.
Die Mutter ist am Telefon. Ihre Stimme klingt immer noch genauso jung und sanft wie in Waynes Kindheit.
Sie ist überrascht, ihn zu hören. Er sagt, ihm und der Kleinen gehe es gut, und erzählt dann, was er heute auf CNN gesehen hat. Was er glaubt, gesehen zu haben. Wen er gesehen haben will. Mutter hat nichts von Mike gehört. Vor gut zwei Wochen sei er auf die Basis zurück, sagt sie. Gut möglich, dass er sich schon längst im Irak befindet. Wayne hört, wie sich in Mutters Stimme ein leichtes Zittern breitmacht. Er versucht sie zu beruhigen. Sich selbst zu beruhigen. Es ist bestimmt nicht Mike gewesen. Sicher nicht. An so einem Kontrollpunkt habe Mike doch nichts zu suchen, schon gar nicht, wenn sich dort irgendwelche bescheuerten Idioten in die Luft jagen. Mama, Mike ist doch bei den Fernmeldern. Ein IT -Fachmann. Spezialist.
Wayne hört im Hintergrund seinen Vater fragen, was los sei.
Mutter antwortet, Wayne habe angerufen, und reicht den Hörer an den Vater weiter. Wayne wiederholt, was er vorhin der Mutter erzählt hat. Vater sagt kein Wort. Wayne schießt durch den Kopf, sein Vater sei ein harter Kerl, der nur harte Männer mag. Dieser Vorliebe seines Vaters für echte Kerle hat Wayne schließlich auch seinen Namen zu verdanken. Wayne nach John Wayne aus dem bescheuerten Film Die grünen Teufel (und anderen, noch schlimmeren Cowboyfilmen). Seine Mutter hat den Namen aber auch gemocht. Damals war es ja schick, die Kinder nach Hollywoodstars zu benennen. Wobei sich Vater vermutlich gewünscht hätte, dass aus Wayne ein Cowboy wird. Ein echter Cowboy. Vermutlich hat Waynes Bruder Mike Vaters Vorstellungen besser entsprochen, jener Mike, über den sie nun quer über den Atlantik schweigen, verbunden durch ein Telefonkabel, das auf dem Meeresgrund liegt.
Wayne bittet seinen Vater, ihm sofort Bescheid zu geben, sobald sie etwas Neues wissen. Auch nachts. Und zu jeder anderen Tageszeit. Sein Handy sei immer an.
AUF TUCHFÜHLUNG
H ana sieht auf die still daliegende Moldau mit den Touristendampfern. Sie liest: Sanftes Rauschen eines breiten Flusses, unbestimmte Frische des Wassers, hörbar verborgener Glanz, totes Gelb der Bewegung.
Eine Windböe weht ein Stückchen Lissabon heran, auch wenn der Wind, der Hanas Haare zerzaust, von der Nordsee und nicht vom Südatlantik kommt.
Hana denkt daran, wie Thomas und sie mit einem Fahrstuhl über die Dächer von Lissabon gefahren sind. Von der Terrasse haben sie aufs Meer heruntergesehen und auf die Burg, die zum Schutz vor Piraten errichtet wurde. Es waren dann aber doch nicht die Seeräuber gewesen, sondern ein Erdbeben und eine mächtige Flutwelle, die Lissabon den Todesstoß versetzt haben.
Hana und Thomas erzählten sich von ihren Reisen und von Städten, in denen sie nie länger als drei Tage geblieben waren und trotzdem das Gefühl hatten, sie gut zu kennen. Sie sprachen über sterile Hotelzimmer mit Bädern, in denen es nach künstlichen Pfirsichen roch. Sie redeten über Ruhe und das gleichzeitige Bedürfnis nach Unruhe und Bewegung. Sie tauschten sich über Musik und Bücher aus, stritten sich über tschechische Filme aus den Sechzigern, die Thomas gerne mochte und Hana langweilig fand, und über deutsche Filme der Gegenwart, die Hana gefielen und die Thomas gar nicht kannte, weil er zum letzten Mal mit dreißig im Kino war. Vielleicht sei er dafür schon zu alt, sagte sie. Thomas widersprach, vielleicht sei Hana eher zu jung, um mit Kino Schluss zu machen.
Vielleicht stimmt das auch. Vielleicht ist sie noch zu jung und unreif, wenn sie sich gerne rühren und mitnehmen lässt von fremden Gefühlen und Geschichten. Wenn es ihr Spaß macht, in Büchern, Filmen und Popsongs nach sich selbst zu suchen.
Unter ihnen wimmelte Lissabon wie ein Ameisenhaufen, hupende Autos hielten an Kreuzungen an und fuhren hupend wieder los, aus dem Hafen hörte man das Horn eines Überseedampfers tuten. Dann fasste Thomas nach Hanas Hand und sie fuhren wieder hinunter. Der Fahrstuhl war voll, lauter deutsche und englische Touristen. Hana und Thomas mussten sich ganz eng aneinanderschmiegen.
Er zeigte ihr das Café
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