Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
dass er zu ihrem Konzert kommt. Und löscht sie wieder. Er starrt den Fernsehturm vor seinem Fenster an und denkt an Nestor, der nun im Himmel zu Petrs Oma segelt, falls es im Himmel überhaupt Kommunistinnen gibt, denn seine Oma hat an das Jenseits der Christen nicht geglaubt. Eine Minute später schreibt er die SMS noch mal und fügt hinzu, er bringe Malmö mit. Er schickt sie ab. Die Antwort kommt sofort. Für die Guestlist sei es schon zu spät, sie freue sich aber, dass er kommen will. Es wird richtig punkig werden.
»Freust du dich, Malmö?« Petr legt Musik auf und geht ins Badezimmer, begleitet von New Order :
Up, down, turn around
Please don’t let me hit the ground
Tonight I think I’ll walk alone
I’ll find my soul as I go home
Heute war also seine letzte Fahrt. Zum letzten Mal hat er am Steuer gesessen und eine leere Straßenbahn durch Prag gelotst. Ohne Menschen. Wie ein U-Boot voller Licht, Musik und Zigarettenqualm. Er musste ganz langsam fahren, wie immer, wenn eine ramponierte Straßenbahn ins Depot gebracht wurde. Sie behinderten den Verkehr. Die Autos hupten. Petr war das egal. Er sah sich die Straßen genau an, prägte sie sich ein. Betrachtete sein Leben, das auf einmal langsamer wurde. Als er später seine Papiere abgab, wusste er schon, dass er sie nie abholen kommen würde. Seine Aushilfstätigkeit war vorbei.
Vielleicht fängt er wieder etwas Ordentliches an. Vielleicht lässt er sich wieder immatrikulieren. Vielleicht verliebt er sich. Vielleicht beides zusammen.
AUF DER LETZTEN KELLERSTIEGE DER WELT
A m 23. Januar 1960 gab sich die See vor der Insel Guam stürmisch. Seit einer ganzen Woche schon wurde sie vom Wind gepeitscht und türmte sich zu riesigen, bis an die acht Meter hohen Wellen auf.
Auf der Wasseroberfläche krängten und ächzten der Schlepper USS Wandank und der Torpedobootzerstörer Lewis. Zwischen ihnen lag der Bathyscaphe Trieste. Unter ihnen der Marianengraben. Wegen der schlechten Witterung war bis zum letzten Moment unklar, ob der Versuch überhaupt angegangen würde.
Kurz nach dem Frühstück (genau um 08:23) setzten sich der Schweizer Ozeanologe Jacques Piccard und der amerikanische Marineoffizier Donald Walsh in den Bathyscaphe und begannen mit dem Abstieg. Mit der Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde glitten sie nach unten und sahen durch die Fensterluke zu, wie Planktonschleier an die Oberfläche hinaufstiegen. Alle zehn Minuten hielt Piccard den Verlauf des Abstiegs im Logbuch fest. Alle tausend Meter notierte er: Well done . Die Losung kam von Walsh, er liebte seine Steaks well done.
Piccard aß selten Fleisch, eher noch Fisch. Aber Walshs Losung gefiel ihm. Er war fest davon überzeugt, dass die teure und laut einiger Kollegen zu abenteuerlich angelegte Aktion, deren Vorbereitungen bereits seit Jahren liefen, auch als well done zu Ende gehen würde.
In der Tiefe von 730 Metern umgab den Bathyscaphe bereits absolute Dunkelheit. Dann tauchte ein Problem auf. Wasser sickerte in die Kabine. Durch den enormen Druck von außen verdichteten sich die Ritzen allerdings von alleine.
Immer wieder kontrollierten Piccard und Walsh das Echolot, den Wassertiefenzähler und den Sauerstoffstand. Sie warteten auf den Moment, wenn die unerträgliche Schwere des Wassers, der enorme Druck, dem sie ausgesetzt waren, die äußere Hülle des Bathyscaphes verbiegen und platt drücken würde. Für diesen Fall hatten sie sogar Ohrenschützer dabei. Ein solcher Moment kam auch. Und nicht nur einmal, vor allem zwischen fünf- und achttausend Metern. Dann aber hörte der Lärm von alleine auf und Stille breitete sich aus. Eine absolute Stille.
Nach knapp fünf Stunden fand der Abstieg ein Ende. Sie landeten auf dem weichen und schlammigen Grund des Marianengrabens. Piccards Armbanduhr, die er von seinem Vater zur Hochzeit geschenkt bekommen hatte, zeigte auf die Minute 13:06 an. Sie waren am Grund. 10 916 Meter unter der Meeresoberfläche. Noch nie ist jemand tiefer gewesen. Tiefer ging es nicht. Sie befanden sich auf der letzten Kellerstiege der Welt. Diese Formulierung kam von Piccard.
Sie linsten durch die winzige Fensterluke nach draußen und sahen nichts. Sie dachten, dass sie das Leben auf dem Weg nach unten hinter sich gelassen hatten, dann bereitete es ihnen aber eine Überraschung. Zwei leuchtende Äuglein klebten am Fenster, ein Körper gehörte auch dazu. Ein Plattfisch. Er schwang die Schwanzflosse und weg war er. Ein anderer kam nicht.
Einen Moment lang
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