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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Einzige, was zählte, und Johnny war dankbar dafür. Er hatte beschlossen, dass sie erst haltmachen würden, wenn der Wassertank leer war, um möglichst kein Risiko einzugehen. Er würde bis nach Sardinien oder Korsika segeln, irgendwo ganz weit weg, wo sie den Namen des Bootes überpinseln und die Little Utopia entweder versenken oder verkaufen und noch einmal ganz von vorn anfangen würden.
    Irgendwann kam Clem an Deck. Auch sie war schwer seekrank und übergab sich, übernahm jedoch für eine Weile das Ruder, damit er in der Koje über dem Kartentisch ein kleines Nickerchen machen konnte. Er machte sich nicht einmal die Mühe, die Gummistiefel oder das Regenzeug auszuziehen, sondern kroch hinein, schloss die Augen und fiel in einen leichten Dämmer, in dem sich das Kreischen des Boots in Franks verzweifelte Schreie und die dumpfen Schläge des Rumpfs in seine zornigen Fausthiebe verwandelten. Allmählich dämmerte ihm, dass er nie wieder Frieden finden würde. Frank würde ihn für den Rest seines Lebens verfolgen, bis in seine Träume. Selbst als er die Cockpitwand hinter sich spürte, fühlte es sich an, als sei es nicht das Fiberglas, das sich gegen seinen Rücken presste, sondern Franks massiger Körper. Zweimal schreckte er, erregt und zutiefst beschämt, aus dem Schlaf, weil er geträumt hatte, Franks Finger mit den fehlenden Spitzen zwischen seinem Rückgrat und seinem Hinterteil zu spüren. Als die sanfte Stimme aus dem Cockpit an seine Ohren drang, katapultierte er sich mit einem Satz aus der Koje und stürzte hinauf, um ihn sich vorzuknöpfen. Verwirrt starrte Clem ihn an, als er unter lautem Gebrüll auf dem Deck hin- und herrannte und ihn über das Donnern der Wellen hinweg verfluchte – außer ihr war weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.
    Danach verzichtete er gänzlich auf Schlaf; stattdessen begann er, wie von Sinnen sämtliche Spuren von Frank zu beseitigen; alles, was irgendwie an ihn erinnerte. Er suchte seine Kleider zusammen – das Bargeld, das Frank gebunkert hatte, behielt er –, kramte in ihren persönlichen Unterlagen herum. Er fand ihre Pässe und stellte fest, dass Smudge auf Franks Dokument eingetragen war. Also schrieb er ihren Namen in seinen eigenen Pass: Imogen Love. Wer sollte auch auf die Idee kommen, dass etwas nicht stimmte? Ein junges Paar mit einem kleinen Mädchen an Bord eines Boots – es gab keinerlei Grund, irgendetwas Unrechtmäßiges zu vermuten. Er zerschnitt Annies und Franks Pässe, stopfte sie in eine leere Suppendose und schleuderte sie über Bord.
    Am dritten Tag verschlechterte sich das Wetter noch mehr. Clem und Smudge blieben unter Deck – beide hatte es so schlimm erwischt, dass sie praktisch zu nichts mehr zu gebrauchen waren. Sie hingen zusammengekauert abwechselnd auf der Seite des Boots, die gerade am tiefsten im Wasser lag. Er versuchte, ihnen Getränke einzuflößen, doch sie schafften es noch nicht einmal, die Köpfe zu heben, es sei denn, um noch mehr Galle zu spucken. Sie waren mehr tot als lebendig. Er sorgte dafür, dass sie wenigstens nicht frieren mussten, doch nicht ein einziges Mal zog er die Möglichkeit in Betracht, eine der Inseln anzusteuern. Nicht solange die Gefahr drohte, dass Frank sie doch noch aufstöbern könnte. Draußen tobte ein heftiger Sturm mit Böen mit bis zu siebzig Knoten. Er hatte nur ein einziges Segel ein winziges Stück gesetzt und kämpfte sich tapfer durch den Gegenwind. Manchmal fühlte es sich an, als kämen sie keinen Zentimeter vorwärts, doch Johnny war fest entschlossen, nicht aufzugeben. Stattdessen schnallte er sich fest und segelte weiter, immer weiter, jenseits von Sinn und Verstand. Von Zeit zu Zeit sah er Inseln in der Ferne auftauchen, die kaum mehr als graue Flecke in der undurchdringlichen Schwärze des Himmels waren und weder größer noch kleiner zu werden schienen. Während der vergangenen drei Tage hatten sie bestenfalls siebzig Meilen zurückgelegt.
    Schließlich, am vierten Tag, siegte die Vernunft. Solange das Wetter so blieb, würden sie nicht weitersegeln können. Clem und Smudge waren so schwer krank, dass sie noch nicht einmal Wasser bei sich behielten, und auch er selbst befand sich am Rande der Erschöpfung. Als sie endlich die westlichste der griechischen Inseln erreichten und die Sonne durch den milchig weißen Himmel drang, blickte er zu der zerklüfteten Insel mit dem von zahllosen Höhlen gesäumten Ufer hinüber und hatte endlich das Gefühl, Frank weit genug hinter

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