Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)
Straßenseite und bestellten Bier für alle, statt einer feierlichen Trauung beizuwohnen – bis Johnnys Vater die zündende Idee hatte.
Das Wetter hatte erneut umgeschlagen. Als sie den Hafen von Padstow erreicht hatten, war die dicke Wolkendecke weitergezogen und hatte Platz für einen schmalen Streifen eisigen Blau geschaffen. Ein schneidender Wind fegte über die Küste und die tief stehende Wintersonne warf lange Schatten auf das ölig-schwarze Wasser. Sie schlüpften in Gummistiefel und zogen sich dicke Pullover, Schals und bunt gemischte Regenjacken über, die sie im Schrank des Bootshauses gefunden hatten. Zu fünft standen sie am steilen Steg und schickten sich an, die Fireball, ein altes Holzboot, vom Anhänger in die ansteigende Flut zu schieben, dessen Takelage bereits vor Vorfreude klapperte. Sarah und Rob standen auf der einen Seite im eisigen Wasser, Johnny und Clem auf der anderen, während sein Vater den Anhänger zurück zum Bootshaus schob.
Clem sprang als Erste hinein. Ihr Rock klebte an den Gummistiefeln, und ihr Make-up war völlig zerflossen, weil sie im Pub geweint hatte. Alle taten so, als hätten sie nichts davon mitbekommen, weil die Herzlosigkeit, die ihr die Tränen in die Augen getrieben hatte, schon schlimm genug war, um sie noch zusätzlich zu erwähnen. Aber natürlich wussten es alle – und es war nicht die Tatsache, dass die Hochzeit geplatzt war. Die Trauung konnte jederzeit nachgeholt werden. Nein, der Grund für ihre Tränen war, dass ihr eigener Vater einfach nicht aufgetaucht war. Nur ein einziges Mal hätte er sich ins Zeug legen, alle Hebel in Bewegung setzen können, um es zu schaffen. Johnny war so wütend, dass er noch nicht einmal seinen Namen in den Mund nehmen konnte. Dabei war Clem außer sich vor Freude gewesen, als Jim zugesagt hatte. Es sei ihm eine Ehre, sie zum Altar zu führen, und Peter und Tim könnten das Ringkissen tragen, hatte er gesagt. Sie war vor Begeisterung nackt durch die Wohnung getanzt. Und nun hielt es dieser elende Dreckskerl nicht einmal für nötig, auch nur aufzutauchen. Und Clem konnte sich nicht überwinden, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Stattdessen kam sie mit faulen Ausreden daher, weshalb er es nicht geschafft haben könnte – vielleicht kam er ja nur ein bisschen später, meinte sie, und als es noch später wurde, erklärte sie, er sei im Moment in seinem neuen Job ja so unglaublich eingespannt. Aber Johnny entging nicht, dass sie sich jedes Mal erwartungsvoll umdrehte, wenn die Tür des Falcon Inn aufging. Und als ihr dämmerte, dass er tatsächlich nicht kommen würde, tat sie so, als hätte sie etwas im Auge.
Mit hämmerndem Herzen setzte Clem sich neben den Mast am Bug der Fireball. Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke hoch und klappte das Ärmelbündchen über ihre Finger. Auf dem Meer war es spürbar kälter. Johnny zog sich die Mütze vom Kopf und warf sie ihr zu. Sie setzte sie auf und blickte zum Bootshaus hinüber, wo ihre Mutter stand und ihnen winkte – in ihren hochhackigen Schuhen und dem hellblauen Kleid unter der gelben Öljacke, die Johnnys Dad ihr zum Wärmen gegeben hatte. Sie war zu höflich gewesen, um das Angebot auszuschlagen, doch Clem sah ihr an, dass es ihr nicht behagte, weil sie ihre Sachen nicht schmutzig machen wollte. Trotzdem sah sie gut darin aus – so als gehöre sie dazu. Clem wünschte, sie könnte ihrer Mutter begreiflich machen, wie magisch das Leben der Loves war, denn eines war ihr an diesem Nachmittag bewusst geworden: Sie hatte den einzigen Menschen, der immer für sie da gewesen war, als selbstverständlich betrachtet. Sie blies ihr einen Kuss zu, während Sarah umständlich ins Boot kletterte und sich lachend das Geschirr anlegte. Als Nächstes kam Johnnys Vater an Bord, gefolgt von Rob und Johnny, die das Boot vom Ufer abstießen, ehe sie selbst hereinkletterten. Johnny war es sogar gelungen, vollkommen trocken zu bleiben. Nach einigem Hin und Her glitt die Fireball, angetrieben von einem sanften Südwestwind, mühelos über die Wellen und aus dem Hafenbecken hinaus. Clem drehte sich um und sah ihre Mutter immer noch an der Mauer stehen und winken. Sie winkte zurück.
Sie flitzten an dem kleinen Cottage an der zerklüfteten Küste vorbei, während sich die Sonne hinter den Bergen verbarg. Vor ihnen hob sich Puffin Island scharf vom Horizont ab. Johnny und Clem saßen eng umschlugen auf der Steuerbordseite. Er küsste sie auf die Wange, ohne den Blick vom Segel über ihnen zu
Weitere Kostenlose Bücher