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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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rezitierte ein Sonett, während er die Vorhänge zurückzog. Soll ich denn einen Sommertag dich nennen? Mit diesen Worten begrüßte er den Tag. Er hatte sie in seiner Raumausstatterfirma angestellt, und wenn sie nicht gerade bei der Arbeit waren, lagen sie im Bett. Es bestand aus einer breiten Matratze, die sie unters Fenster gelegt hatten, um auf den Richmond Park hinausblicken zu können. Sie hatten pausenlos Sex; manchmal lagen sie auch nur da und sahen einander in die Augen, wie es nur Liebende oder komplette Schwachköpfe können – sprachlos vor Staunen darüber, einander gefunden zu haben, über das Wunder, dass zwei Vertreter derselben Spezies zu einer Einheit verschmolzen, eins geworden waren, nicht länger Individuen, sondern quasi die Verlängerung des anderen.
    Clem löste sich von ihm. »Aber wird der Freund von Mr Supermagnat nicht komplett ausflippen, wenn er erfährt, dass sein gesamter Plunder einfach in Kos von Bord geschmissen worden ist, obwohl er doch dachte, dass er nach Fethiye geliefert wird?«
    »Das ist nicht unser Problem, Clem«, erwiderte Johnny und wünschte, sie würde sich bloß ein einziges Mal auf eine einzige Sache konzentrieren. Er sog ihren herrlichen Geruch nach Meer und Teakholzöl ein. Minuten später liebten sie sich auf den roten Millionärslaken.
    Sie hörten ihn nicht hereinkommen. Clem bemerkte ihn als Erste. Sie setzte sich ganz langsam auf, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Blöße zu bedecken – manchmal nervte ihn ihr mangelndes Schamgefühl – und tippte Johnny auf die Schulter. Er drehte sich um und sah Charlie Potts im Türrahmen stehen.
    »Oh, hier seid ihr«, sagte Charlie, der nicht einmal zu merken schien, dass sie gerade vögelten, und keinerlei Anstalten machte, den Rückzug anzutreten. Das Ganze war ihm offenkundig nicht im Mindesten peinlich. »Wenn ihr es euch schon nicht verkneifen könnt, wär’s mir lieber, ihr würdet es nicht hier drin tun. Auf dem Unterdeck gibt es eine Kajüte für Fortpflanzungszwecke.«
    Johnny fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Die Fortpflanzung war ganz bestimmt nicht der Sinn und Zweck ihrer Aktivitäten. Clem nahm die Pille.
    »Außerdem haben wir keine Zeit für diesen Kram«, fuhr Charlie fort, schlug die Hacken zusammen, trat ans Bett und drückte Johnny ein blaues Blatt Papier in die Hand.
    »Hier ist ein Telegramm vom Boss«, erklärte er, wobei er demonstrativ den Blick von Clems Brüsten abgewandt hielt.
    Johnny nahm das Blatt entgegen, und Clem beugte sich herüber, um einen Blick darauf zu werfen.
    * ALLE STOPP SACHEN STOPP IN STOPP INTERNATIONALEN STOPP GEWÄSSERN STOPP VERSENKEN STOPP *
    Clem und Johnny lachten und sahen Charlie an, der jedoch keine Miene verzog.
    »Das ist doch wohl nicht sein Ernst, oder?«, fragte Johnny und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Humor ist nicht gerade seine Stärke.« Ein Blick auf die Fotos an den Wänden untermauerte diese Aussage.
    »Also wollten die hier die Sachen nicht nehmen?«, hakte Clem nach.
    »Hast du das Zollgebäude gesehen? Das ist die reinste Streichholzschachtel.«
    »Er will also, dass du alles über Bord wirfst?«, hakte Johnny nach. »Den ganzen Krempel?«
    »Ja. Und genau das werden wir tun. Heute Abend. Und dann fahren wir weiter nach Fethiye. Ich zahle euch einen Fünfziger extra und das Ticket für die Heimfahrt. Klingt das okay für euch?«
    »Aber wenn er weiß, dass wir nach Fethiye fahren, wird er doch dort auf uns warten, oder nicht?«, platzte Johnny heraus, obwohl er sich und Clem natürlich nicht um das zusätzliche Geld bringen wollte. Mit fünfzig Mäusen kam man in dieser Gegend ziemlich weit.
    »Sei es, wie es will. Wenn nichts an Bord ist, ist eben nichts an Bord.«
    Johnny und Clem tauschten einen Blick. Da gab es nichts zu überlegen. »Gut«, sagte Johnny und sah Charlie an. »Dann machen wir es so.«
    Charlie nickte knapp. »Und jetzt würde ich vorschlagen, ihr unterbrecht eure außerplanmäßigen Aktivitäten entweder oder bringt sie zügig zu Ende und macht euch bereit, noch mal ein bisschen anzupacken.« Wieder schlug er die Hacken zweimal zusammen, machte kehrt und verließ die Kabine.
    Als die Old Rangoon aus dem Jachthafen von Kos auslief – der Himmel hinter ihnen war mittlerweile in sanfte Rosatöne getaucht –, setzte Clem sich an den Steinway und begann, eine ziemlich komplizierte Beethoven-Sonate zu spielen, wohl wissend, dass Charlie sie beobachtete. Sie beherrschte die ersten rund zwanzig Takte einiger

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