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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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betraute, nach dem »grünen Blitz« Ausschau zu halten, jenem magischen Moment, wenn die Sonne endgültig hinterm Horizont verschwand und ein leuchtend grünes Licht am Himmel aufflackerte. Er habe sein ganzes Leben mit der Suche danach zugebracht, es jedoch nie geschafft, weil seine Augen nicht gut genug seien, erklärte er. Sein Dad habe es gesehen, ebenso wie sein Bruder, aber es gelinge eben nur den Allerbesten. Augenblicklich waren Smudges Tränen versiegt. Sie war auf seinen Schoß geklettert und hatte mit weit aufgerissenen Augen in die Sonne geblickt, sorgsam darauf bedacht, nicht zu blinzeln, während Annie ihr ein paar wärmere Sachen angezogen und Johnny dankbar das Haar zerzaust hatte.
    Der Himmel war von rosafarbenen und violetten Streifen überzogen, die sich wie lange Finger gen Osten erstreckten, wo die ersten Sterne funkelten. Frank und Clem gesellten sich, in dicken Pullovern und mit Gläsern voll Rotwein in der Hand, zu ihnen ins Cockpit, wo sie alle nebeneinandersaßen und auf jenen magischen Moment warteten, wenn das grüne Licht aufflammte, ehe der rote Feuerball endgültig vom Himmel verschwand. Captain Hook war die Einzige, die den grünen Blitz sah, sogar gleich mehrmals nacheinander, behauptete sie – genau in dem Moment, als die anderen offenbar geblinzelt hatten. Sie beschrieb den kurzen Augenblick in sämtlichen Details, erklärte, wie die Regenbogen aufgeflackert seien und wie besonders ihre Augen doch sein müssten, wenn sie so etwas erkennen könnten. Für die anderen hingegen küsste die Sonne lediglich den Horizont und glitt ohne großes Brimborium außer Sichtweite.
    Als die Sterne über ihnen funkelten und der Mond aufging, saßen sie mit ihren Tellern auf dem Schoß da und verputzten ihre Nudeln. Dann brachte Annie Captain Hook ins Bett. Sie leistete zwar kurz Widerstand – sie hörten ihren müden Protest aus dem Vorschiff –, doch wenig später kehrte Annie mit einer weiteren Flasche Wein ins Cockpit zurück. Clem stand auf und trat auf die andere Seite des Cockpits zu Johnny, hob seine Füße auf ihren Schoß und begann, sanft seine Ballen zu massieren. Frank saß neben ihr, die Beine über der Ruderpinne, blickte zum Himmel hinauf und beschrieb mit dem Finger die Flugbahnen der einzelnen Sterne und Planeten, was unweigerlich eine Diskussion über die Bedeutungslosigkeit eines einzelnen, winzigen Menschenlebens heraufbeschwor. Wenn Beteigeuze die Größe einer Orange besitze, habe der Planet Erde im Vergleich dazu gerade einmal den Durchmesser eines Stecknadelkopfs, erklärte er. Clem beugte sich hinüber und folgte seinem Finger. Sie trug Johnnys Poloshirt und hatte ihr Haar im Nacken zusammengebunden, aus dem sich vereinzelte Locken lösten und ihr Gesicht umrahmten. Johnny ertappte sich bei dem Gedanken, wie gern er jetzt mit seiner Frau schlafen würde. Einen Moment lang überlegte er, einfach aufzustehen und ihre Hand zu nehmen, nach dem Motto: »Entschuldigung, aber ich gehe jetzt mal und vögle meine Frau. Wird nicht lange dauern.« Er war ziemlich sicher, dass sich keiner an Bord daran stören würde. Er trank einen Schluck Wein und prostete Annie zu, die ihr Glas auf ihre typisch ruhige, unaufgeregte Art leerte. Das Schweigen war entspannt und behaglich. Sie genossen die Wärme des Weins und lauschten dem steten Schlagen der Wellen, ohne das Bedürfnis zu verspüren, die Stille zu durchbrechen.
    »Das war ein herrlicher Tag. Damit hätte ich nicht gerechnet«, sagte Clem, an niemand Bestimmtes gerichtet.
    »Ein wunderbarer Tag, wie er nicht wunderbarer sein könnte«, bestätigte Frank, ohne den Blick vom Nachthimmel zu lösen.
    Mit einem tiefen, zufriedenen Seufzer legte sie den Kopf in den Nacken und blickte zu den Millionen Sternen hinauf. »Eines Tages wird der Mensch bestimmt all die Geheimnisse des Universums gelüftet haben«, sagte sie und drückte mit dem Finger gegen Johnnys Fußgewölbe. »Sogar die große Frage, was es mit den schwarzen Löchern auf sich hat.«
    »Hm«, stimmte Frank leise zu.
    »Aber wenn wir die Antworten auf all diese Fragen erst mal kennen, war’s das höchstwahrscheinlich mit unserer Welt«, fuhr sie fort.
    »Ich wette, wir kennen die Geheimnisse des Universums längst«, widersprach Frank mit seiner leisen, weichen Stimme. »Sie sind direkt vor unserer Nase.«
    »Hm«, machte sie ebenfalls.
    »Durchaus möglich, dass das der göttliche Witz schlechthin ist«, fuhr Frank fort. »Dass wir all die Antworten längst kennen, es nur

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