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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Der Einzige, der dort saß, war Frank. Johnny sah ihr Profil im Dunkel. Ihr Mund war leicht geöffnet, ihre Zungenspitze ragte zwischen den Lippen vor, und er wusste, dass ihre Augen vor Lust glitzerten.
    »Keine Sorge, Clem«, sagte Frank mit seiner samtigen, beruhigenden Stimme in der Dunkelheit. »Du brauchst dieses Spielchen nicht zu spielen.«
    Sie starrte ihn reglos an.
    »Nein, nein, tu es ruhig«, hörte Johnny sich sagen. »Küss ihn, Clem.«
    Und dann sah er zu, wie seine Frau aufstand und sich über Frank beugte. Er sah zu, wie sich seine riesigen Pranken mit unendlicher Zärtlichkeit um ihr Gesicht legten. Er hörte die leisen, feuchten Geräusche ihrer Küsse, sah, wie die Pranke langsam auf ihrem Rücken abwärtswanderte und wie Clem sich ihm entgegenwölbte, sich ihm ohne jede Hemmung hingab.
    Clemmie saß auf dem Beifahrersitz des blauen Cortina. Sie war noch nie mit ihrem Vater allein verreist. Normalerweise waren sie immer zu dritt unterwegs, ihre Mutter vorn und Clemmie auf dem Rücksitz, wo sie zwischen zwei Laternenpfählen die Luft anhielt und dem Gelächter und Geplapper ihrer Mutter lauschte. Manchmal beugte sie sich auch vor, wenn sie besonders laut lachten, begriff aber nie, was so besonders lustig gewesen war, und zog sich wieder zurück, um sich ihren Atemspielen zu widmen. Manchmal schafften Mum und Dad es auch, dass sie sich ein klein wenig ausgeschlossen fühlte. Ab und zu versuchte sie sogar, sich an ihrer Unterhaltung zu beteiligen, zwängte sich in die Lücke zwischen den Vordersitzen und nahm alle beide bei den Händen. Dann strich ihre Mutter ihr das Haar aus dem Gesicht, spuckte auf ihr Taschentuch, um ihr den Schmutz von der Wange zu rubbeln, oder zog ihr den Daumen aus dem Mund. Aber heute war sie mit ihrem Dad allein, und ihm waren solche Dinge nicht wichtig. Für ihn zählte nur, rechtzeitig in die Bar zu kommen, bevor sie zumachte, das Cricketspiel nicht zu verpassen und England gewinnen zu sehen – wichtige Dinge eben.
    Die Straße war schmal und von hohen Hecken gesäumt. Wenn sie zur Windschutzscheibe hinaussehen wollte, musste sie sich auf den Sitz knien. Allerdings musste sie sich mit den Händen auf dem Armaturenbrett abstützen, da ihr Vater immer wieder anhielt, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Er war zwar schon einmal in dem Hotel gewesen, probierte aber immer wieder neue, schnellere Strecken aus, um seinen Rekord zu unterbieten. Die Sonne schien ihr direkt ins Gesicht, deshalb musste sie die Sonnenblende herunterklappen und sich folglich ständig ansehen. Ihre Mutter hatte ihr das Haar glatt gebürstet, deshalb lag es oben ganz platt an. Sie strich sich über die Locken.
    »Du siehst sehr hübsch aus«, bemerkte Dad zwinkernd. Augenblicklich fühlte sie sich besser. Abgesehen von ihrem Haar fand sie das auch. Sie hatte sich große Mühe bei der Auswahl ihrer Kleider gegeben: Sie trug ihr türkisfarbenes Cordkleid mit ihrer roten Lieblingsstrumpfhose und hatte es geschafft, dass es noch keinen Fleck abbekommen hatte. Allerdings drückten ihre Schuhe ein klein wenig, weil sie allmählich aus ihnen herauswuchs: braune Schnürschuhe in Größe 29, deren Absätze auf dem Asphalt klapperten und ihre Füße so schön nach innen bogen, genauso wie bei Sarah. Nach innen gekehrte Füße fanden alle in der Schule ganz toll.
    »My sweet lord«, sang Dad zu dem Song aus dem Radio. »Hmmm … my lord … hmmm … my Lord. «
    Er trug seinen blauen Anzug, dazu ein hellgrünes Hemd mit breitem Kragen, und die Sonne fing sich in seiner goldenen Armbanduhr. Sein Kinn war von Bartstoppeln bedeckt. Das mochte sie überhaupt nicht. Er hätte keine Zeit gehabt, sich zu rasieren, hatte er behauptet. Sie fragte sich, wie lange man dafür brauchte. Er trug seine Starsky-Sonnenbrille und wippte im Takt der Musik. Sie musste lachen.
    »I really want so see you, Lord . « Er imitierte George Harrison perfekt, legte dieselbe flehende Verzweiflung in seine Stimme, machte sich über ihn lustig und war doch mit vollem Ernst bei der Sache. Er tat so, als reiche er das Mikrofon an sie weiter, damit sie in die »Hallelujas« im Hintergrund einstimmen konnte.
    »Okay. Bist du bereit?« fragte er nach einer Weile, woraufhin sie ihn anstrahlte. Jetzt kam das Allerbeste; die Stelle, an der ihre Mutter sagen würde: »Also wirklich, Jim, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.« Sie hatten schon damit angefangen, als Clemmie noch ganz klein war. Clemmie musste nicht zweimal überlegen.

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