Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)
haben.
Er war nicht ganz sicher, was er von den Vorkommnissen halten sollte. Anfangs war es okay gewesen, direkt danach, und auch heute Morgen noch, doch im Lauf des Tages hatte ihn ein seltsames Gefühl beschlichen; als wäre er beraubt worden oder hätte etwas verloren, das ihm sehr am Herzen gelegen hatte. Solange sie hier an Bord waren, jeder in seiner eigenen kleinen Welt, war es nur schwer vorstellbar, dass es tatsächlich passiert war. Dass er sich freiwillig daran beteiligt hatte, seine Frau großzügig einem anderen Mann zu überlassen. Und sie hatte sich keineswegs dagegen gewehrt. Er hatte zugesehen, wie Frank sie im Schein der Sterne auf den Cockpitsitz gelegt hatte, ohne den Mund von ihren Lippen zu lösen. Wie sie ihren Rock hochgeschoben, ihr Höschen abgestreift und die Beine gespreizt hatte, als hätte sie nur auf ihn gewartet und sich nach ihm gesehnt. Doch zugleich war Johnny stolz auf sie gewesen; darauf, wie wunderschön sie ausgesehen hatte, wie gierig sie nach Frank gewesen war. Er hatte gewollt, dass Frank beeindruckt von ihr war. Er hatte gewollt, dass sie ihm Freude bereitete und Frank den Wert von Johnnys Geschenk, Clem, zu schätzen wusste. Ich schenke dir meine Frau . Natürlich bedeutete dies automatisch, dass er selbst Annie haben durfte, womit jede Schuld getilgt war. Sie war auf die Knie gegangen, hatte Johnnys Jeans aufgeknöpft und ihn in den Mund genommen. Die ganze Zeit über hatte Johnny zu Frank und Clem hinübergesehen, hatte beobachtet, wie Frank seine Finger zwischen ihre Beine und in ihre Vagina geschoben hatte. Er hatte gelauscht, wie Frank wieder und wieder »Du kleines Ding, du wunderschönes kleines Ding« geraunt hatte, während er sie mit seiner Hand gevögelt hatte. Er hatte zugesehen, wie sie sich ihm stöhnend entgegengewölbt hatte, angetörnt von seiner Berührung. Oder von seinen Worten? Nur eines hatte sie dabei nicht mitbekommen – und genau das ließ ihre Liebkosungen in aller Öffentlichkeit so lächerlich erschienen: Während Frank sie gevögelt hatte, war Johnny derjenige gewesen, von dem er keine Sekunde den Blick hatte lösen können. Als Frank gekommen war, in jenem magischen Moment höchster Erregung, dem Höhepunkt männlicher Hilflosigkeit und Jämmerlichkeit, hatte Frank Johnny in die Augen gesehen, ehe er sich erschaudernd in Clem ergossen hatte. Und Johnny, der wenig später ebenfalls zum Höhepunkt gekommen war, hatte den Blick mit einer Mischung aus Entsetzen und Erregung registriert.
»Hast du ein Geschenk für mich?«, fragte Smudge, die die resignierte Granny in ein Handtuch gehüllt hatte und nun großzügig mit Talkumpuder bestäubte. In der langen Geschichte der Schildkröten war wohl noch nie ein Exemplar in den Genuss einer so hingebungsvollen Körperpflege gekommen.
Er hatte Smudges bevorstehenden Geburtstag komplett vergessen. »Vielleicht ja, vielleicht auch nein«, antwortete er und hob vielsagend die Brauen. »Du wirst wohl abwarten müssen, bis es so weit ist.«
»Aber ich kann nicht«, erklärte sie und kletterte mit einem breiten Milchzahnlächeln auf seinen Schoß. Er zerzauste ihr das verworrene Haar. »Nur noch zweimal schlafen, dann bist du fünf. Überleg bloß mal! So ein großes Mädchen!«
»Stimmt«, bestätigte sie und erschauderte vor Erregung. »Daddy sagt, fünf ist das wichtigste Alter auf der ganzen Welt.« Sie ließ ihre Füße gegen seine Beine baumeln. »Was können große Mädchen mit fünf, was kleine Mädchen nicht können?«, fragte sie und drehte sich auf seinem Schoß um, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte.
»Na ja, große Mädchen können … schwimmen. Oder?«, meinte er. In Wahrheit wusste er nicht das Geringste über fünfjährige Mädchen.
»Ja, stimmt«, antwortete sie mit weit aufgerissenen Augen. »Werde ich an meinem Geburtstag schwimmen können?«
»Na ja, an deinem Geburtstag vielleicht noch nicht, aber bald.«
»Und was können große Mädchen noch?«
»Äh … große Mädchen können lesen und schreiben.«
Wieder weiteten sich ihre Augen vor Staunen angesichts all der wunderbaren Möglichkeiten, die das Größerwerden mit sich brachte. »Als ich noch klein war, also vier oder so, konnte ich nicht richtig schreiben, oder?«, fragte sie, als gehörte dieser Zustand längst der Vergangenheit an, und strich sich mit einer Erwachsenengeste eine Strähne ihres zerzausten Haars hinters Ohr. »Da konnte ich nur gut kritzeln.«
Er lachte und sah zu Frank hinüber, der sie lächelnd
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