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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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sich am helllichten Tag zu berühren, vor den Augen von jedem, der zusehen wollte. Ihre provozierende Art, sich selbst ungeniert zu streicheln und zu liebkosen, passte ihm nicht. Das tat sie nur, um ihn zu erregen. Das Problem war nur, dass er sie nicht einmal ansah, was sie jedoch noch nicht bemerkt zu haben schien. Stattdessen saß Frank unter dem Genuasegel und war in ein Geschichtsbuch vertieft. Johnny empfand eine unselige Mischung aus Mitleid, Eifersucht und Verlegenheit um ihrer willen. Sie machte sich komplett lächerlich.
    Was für ein Schwachsinn, so etwas zu denken , sagte er sich. Höchste Zeit, dass Wind aufkam. Er brauchte dringend etwas, um seinen Kopf durchzupusten.
    »Hey, Smudge, brauchst du Hilfe?«, fragte er voller Neid auf die Überschaubarkeit ihrer kindlichen Welt. Sie stand auf der Kombüsentreppe und schleppte allerlei Utensilien an Deck – eine Schlüssel voll Wasser, verschiedene Cremes, Lotionen, Handtücher und Lappen, und schließlich Gilla, dem sie ihren Bikini übergezogen hatte – was ein klein wenig grotesk wirkte, da sich die meisten Erwachsenen an Bord nicht die Mühe machten, in Kleidern herumzulaufen. Schließlich brachte sie Granny herauf, um deren Leib ein Band gebunden war – Franks Orden, der als Gürtel für die kleine Schildkröte herhalten musste.
    Smudge ließ Granny auf das Handtuch fallen, das diese prompt als Toilette benutzte. Sie trug ihre Captain-Hook-Jacke, die noch schmuddeliger aussah als sonst. »Böse Granny … kackt einfach auf das Handtuch!«, schimpfte sie, packte die arme Granny und drehte sie um, sodass ihr bleicher Bauch zum Vorschein kam. Sie löste das Ordensband, tauchte einen Wattebausch ins Wasser und begann Granny zu säubern, als wäre sie ein Baby.
    Granny strampelte hoffnungslos mit ihren Beinchen, reckte ihren faltigen Hals und blinzelte Johnny mit ihren Altmänneraugen an.
    »Also wirklich, Granny«, schimpfte Smudge, drehte sie wieder um und ließ sie über der Wasserschüssel baumeln. »Hör auf damit. Ich hab endgültig genug von deinen Faxen. Du kommst jetzt in die Badewanne, ob es dir nun passt oder nicht.« Ihre Annie-Imitation war ziemlich beeindruckend. Offenbar besaß sie Talent.
    Granny schien nicht allzu versessen auf ein Bad zu sein. Eigentlich hätte er erwartet, dass Smudge ein wenig mehr Mitgefühl für die Notlage der kleinen Schildkröte an den Tag legte, da sie sich schließlich selbst mit Händen und Füßen gegen die Wanne sträubte.
    »Schluss jetzt mit dem Unsinn«, wetterte Smudge, tauchte sie ins Wasser und griff nach der Shampooflasche.
    »Kein Shampoo, Smudge«, sagte Johnny und nahm ihr die Flasche aus der Hand. »Granny hat doch gar keine Haare. Nur einmal ganz kurz ins Wasser … Smudge?«, fragte er und beugte sich vor, um Grannys Füße in Augenschein zu nehmen. Leuchtend rote Punkte zierten ihre winzigen Klauen. »Was hast du mit ihren Füßen angestellt?«
    »Oh. Sie wollte unbedingt Schönheitssalon spielen«, erklärte sie kopfschüttelnd, als hätte sie bereits versucht, Granny davon abzubringen.
    Er setzte sich wieder ans Ruder und sah zu Frank hinüber, der nach wie vor in sein Buch vertieft war. Annie hatte sich auf einen Sessel in der Kabine verzogen und schlief. Irgendjemand von ihnen schien immer zu schlafen. Clem briet noch in der Sonne. Inzwischen hatte sie aufgehört, sich zu streicheln, und sich von ihm abgewandt. Ihre Haut hatte eine walnussfarbene Bräune angenommen, selbst die Falten unter ihren Pobacken.
    Noch immer kreisten seine Gedanken darum, was gestern Abend vorgefallen war, wie schnell sich alles verändert hatte. Nur in der Nacktheit gelingt es uns, unser Innerstes zu enthüllen . In diesem Punkt musste er Frank recht geben. Sie hatten eine neue Ebene erreicht, alle vier. Es gab kaum etwas, was sie noch voreinander verbergen konnten. Die Grenzen existierten nicht länger. Es gab wohl nichts Intimeres, als Zeuge des Orgasmus eines anderen Menschen zu werden. Es erstaunte ihn, wie schnell die Nacktheit an Bord zur Normalität geworden war, wie ungehemmt die anderen damit umgingen. Er selbst jedoch hatte sich glasklare Grenzen auferlegt: Für ihn war Nacktheit akzeptabel, wenn er sich wusch, in der Sonne brutzelte oder mit Clem schlief – Dinge, bei denen es auf der Hand lag, dass man sie nackt verrichtete –, wohingegen die Menschen angezogen sein mussten, wenn sie aßen, diskutierten oder kochten. Ja, er mochte Grenzen; er mochte es, eine öffentliche und eine private Seite zu

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