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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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beobachtete. Johnny winkte ihm zu.
    »Und wenn du wolltest, könnte ich mein Geschenk auch schon früher bekommen? … Jetzt gleich vielleicht?«, fragte sie hoffnungsvoll.
    Am Vortag waren sie an einer Bucht vorbeigekommen, die tatsächlich bewohnt gewesen war. Johnny hatte durchs Fernglas die beiden Häuser in Augenschein genommen. Zwar war weit und breit kein Fahrzeug zu sehen gewesen, aber es hatte kein Zweifel bestanden, dass in den aus Stein gebauten Häusern jemand lebte. Sie waren ans Ufer gerudert, wo sie eine alte Frau in Empfang genommen hatte. Sie hatte sie begrüßt und in ihre äußert bescheidene Bleibe eingeladen, die aus einem einzelnen Raum mit einer Feuerstelle in der Mitte und einer steinernen Spüle bestand. Fließendes Wasser gab es nicht, aber zwischen den beiden Häusern verlief ein Bach, der vom Berg herunterfloss. Die Frau lebte völlig isoliert in dieser gottverlassenen Gegend, in die, soweit sie beurteilen konnten, keine Menschenseele je einen Fuß gesetzt hatte. Beim Anblick einiger Lira hatte sie etwas Unverständliches gebrabbelt, den Mund mit den einzelnen, verrotteten Zähnen zu einem Lächeln verzogen und sie durch den Raum ins Freie geführt, wo ein alter, abgemagerter Esel unter einem Baum gestanden und sie seelenvoll angeblickt hatte. Sie war auf alle viere gegangen, in einen Verschlag gekrochen und mit einem dürren Huhn in der einen Hand und einem Ei in der anderen wieder herausgekommen. Sie hatte ihnen das angstvoll flatternde Tier in die Hand gedrückt und beim Anblick ihrer ausdruckslosen Mienen aufgelacht. Wieder hatte sie etwas gebrabbelt, das Huhn geschnappt und ihm mit einer abrupten Bewegung kurzerhand den Hals umgedreht. Dann hatte sie bemerkt, dass Johnny sich eine Zigarette drehte, nach seinem Tabak gegriffen und sich mit ihren behänden Mörderinnenfingern ebenfalls eine Zigarette gerollt. Am Strand war Johnny auf ein Stück Treibholz gestoßen, und Clem hatte etliche Muscheln gesammelt, in die irgendein Tier freundlicherweise bereits mehrere Löcher gebohrt hatte. Abends, als Smudge im Bett gewesen war, hatte sie die Muscheln auf ein Stück Angelschnur gefädelt, während Johnny aus dem Treibholz einen Speer geschnitzt hatte, mit dem sie den Seeungeheuern zu Leibe rücken konnte. Damit würde Smudge nicht nur eine Halskette und einen Speer bekommen, sondern auch noch einen Geburtstagskuchen und gebratenes Hühnchen.
    Johnny blickte aufs Meer hinaus »Klar zur Halse«, rief er, um die anderen vor dem Wendemanöver zu warnen.
    Smudge sprang von ihm herab, und Johnny kehrte zum Ruder zurück. Frank blickte von seinem Buch auf, während Clem die Füße vom Baum nahm und sich aufsetzte. Sie zog die Knie an und duckte sich, als der Baum auf die andere Seite schwang und die Little Utopia sich träge im nicht vorhandenen Wind drehte. Schließlich stand sie auf und schlang den Sarong um ihren nackten Körper – ganz langsam, wie Johnny bemerkte. Provokant. Sie wollte, dass Frank sie dabei beobachtete.
    »Verdammter Scheißwind, wo bist du?«, brummte Johnny und spürte neuerlich den pochenden Schmerz hinter seinen Schläfen.
    »Verdammter Scheißwind«, wiederholte Smudge, klemmte sich Gilla unter den einen und Granny unter den anderen Arm und sah aufs Meer hinaus, wobei sie sich alle Mühe gab, genauso frustriert dreinzuschauen wie Johnny. Dann fiel ihr Blick auf ihren Vater, und sie schlenderte quer übers Deck zu ihm. Er ließ sein Buch sinken, nahm sie in die Arme und pustete auf ihren kleinen Bauchnabel. »Und wer wird bald fünf?«, rief er mit dröhnender Stimme.
    Clem ging nach unten in die Kabine und setzte ihre Sonnenbrille auf. Ihr Haar war mittlerweile so gelockt und ihr Haut so dunkelbraun gebrannt, dass nichts an die Clem erinnerte, die er aus England kannte. Mit einem Anflug von Wehmut dachte er an die andere Clem zurück; die Clem, die er in- und auswendig kannte. Die nur ihm allein gehörte. Sie ließ sich neben dem Cockpitsitz nieder, wo Schatten herrschte, und lächelte ihn an. Doch es war kein aufrichtiges Lächeln, sondern eher ein vorsichtiges, tastendes, als würde sie seine Stimmung sondieren. Seit dem Vorabend hing ein unausgesprochener Konflikt zwischen ihnen. Sie gähnte.
    »Eigentlich kannst du gar nicht müde sein. So viel, wie du schläfst«, sagte er. In allem, was er heute von sich gab, schwang einen genervter Unterton mit.
    »Ich wusste gar nicht, dass ich unter Beobachtung stehe …«
    »Nein? Ich dachte, schon«, gab er zurück. »Ich

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