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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Vater wieder gestatten zu dürfen. Darauf war sie nicht gefasst gewesen, diese Enge in ihrer Kehle, das Brennen in ihren Augen. Sie war bloß froh, dass Frank den Blick abgewandt hatte, als hätte er gespürt, dass sie gleich losheulen würde. Er streckte die Hand aus und berührte flüchtig ihr Knie, dann stand er auf und goss Kaffee aus der Thermoskanne in die Becher. Eigentlich fühlte es sich sogar gut an, die Tränen aufsteigen zu spüren. Es war fast eine Wohltat. Außerdem verging das Gefühl ebenso schnell, wie es gekommen war.
    Sie sah wieder aufs Meer hinaus. Johnny befand sich mit Annie auf dem Rückweg zu ihnen, aber scheinbar hatte er angehalten, denn die Ruder ragten in die Höhe. Sie wünschte, Johnny könnte wieder so sein wie früher. Sie saß so gern hier mit Frank. Alles war gut, so wie es war. Er reichte ihr eine Tasse Kaffee und setzte sich neben sie. Gemeinsam sahen sie den anderen zu.
    »Was hat Johnny denn heute?«
    Es wäre sinnlos, ihn anzulügen. Sie konnte sich nicht vorstellen, ihn jemals zu belügen. »Er ist eifersüchtig auf dich.«
    Frank hielt einen Moment inne, dann schob er ein paar Holzstücke hin und her und zog sein Zigarettenpäckchen heraus. Er tippte eine heraus und fing sie wie gewohnt mit den Lippen auf, ehe er sie mit einer Mischung aus Verwirrung und Nachdenklichkeit ansah. »Weshalb sollte er eifersüchtig auf mich sein?«
    Sie hielt seinem Blick einen Moment lang stand, doch dann musste sie wegsehen, aus Angst, ihre Augen könnten sie verraten. Sie zog die Beine an und starrte in die laut knisternden Flammen. Mit einem Mal schien sich die Atmosphäre zwischen ihnen verändert zu haben.
    »Ich glaube, er denkt, ich würde etwas für dich empfinden«, sagte sie schließlich. Obwohl sie sich nicht überwinden konnte, ihn anzusehen, fühlte sich ihr Herz an, als sei es zum Zerreißen gespannt; als hänge es, nackt und entblößt wie das Huhn auf dem Spieß, in der Luft, im Begriff, von den Flammen verschlungen zu werden.
    »Er sollte nicht auf mich eifersüchtig sein.« Frank stieß mit einem Ast in die Flammen. »Schließlich wird er eines Tages der Vater deiner Kinder sein.«
    Sie zog die Knie ein wenig enger an die Brust. Frank zündete seine Zigarette an und lächelte ihr auf diese typisch stille, vertrauliche Art und Weise zu.
    »Es gibt nichts, wofür du dich schämen müsstest, Clem. Wenn du Gefühle für mich hast, dann ist es eben so«, sagte er mit seiner volltönenden Stimme. »Das ist doch etwas Schönes.«
    Er erhobsich und machte sich auf den Weg, noch mehr Holz für das Feuer zu sammeln.
    »Annie?«, rief Johnny, legte ein Ruder quer über dem Beiboot ab, das andere auf den Boden, und griff mit einer Hand nach der Fußreling der Little Utopia. »Bist du so weit?«
    Sie kam mit einem flachen Gefäß in der Hand an Deck, das sie ihm unter der Reling hindurchreichte. Er sah sie an, ging jedoch nicht davon aus, dass sie seinen Blick erwidern würde. Sie wirkte ziemlich mitgenommen, und eine scharfe Alkoholfahne schlug ihm entgegen; der typisch süßliche Gestank nach Whiskey. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie überhaupt welchen an Bord hatten. Er stellte den Kuchen auf den Boden zwischen zwei Querstreben – eigentlich sah er weniger wie ein Kuchen, sondern eher nach einem Cremedessert aus, andererseits hatte sie auch keinen Backofen an Bord. Sie hatte fünf Kerzen hineingesteckt und das Kunstwerk mit Puderzucker bestäubt. Mit einer weiteren Tasche in der Hand kletterte sie über die Reling, wo sie sich ihm gegenüber hinsetzte und den Kuchen auf den Schoß nahm, während er das Boot mit einem Ruder abstieß und zu rudern begann.
    Als sie um die Little Utopia herumglitten, verschwanden die anderen für einen kurzen Moment außer Sichtweite. Er musterte sie, wartete darauf, dass sie ihn zur Kenntnis nahm, doch ihr Blick war auf den Boden geheftet. Mit einem Mal sah sie alt und erschöpft aus. Selbst die Löcher in ihren Ohren mit den Kreolen wirkten schlaff und ausgeleiert. Das Leben hatte seinen Tribut gefordert. Er fragte sich, was er jemals an ihr gefunden hatte. Auf ihren Handrücken prangten dunkle Flecke wie bei einer alten Frau. Sein Blick fiel auf ihr von Schokoladenflecken übersätes Kleid, ihr platt gedrücktes Haar, die tiefen Furchen, die links und rechts neben ihren Mund verliefen, die bläulichen Krampfadern an ihren Schenkeln. Und dazu der Gestank nach Whiskey. Mitten am Vormittag, Herrgott noch mal.
    Die Ruderblätter ragten aus dem Wasser.

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