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Die Stille zwischen den Sternen

Die Stille zwischen den Sternen

Titel: Die Stille zwischen den Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
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Bauarbeiter auf der Baustelle neben dem Gasometer erschreckt hätte.

    Ob Sie es glauben oder nicht, Herr Doktor, was in dem Artikel über Polizei und Landeskriminalamt steht, lässt mich ziemlich kalt. Warum ich die Bombe gebaut habe - dahinter werden sie nicht kommen, auch wenn sie mich erwischen sollten. Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: »STUMMER BOMBENBASTLER VON SCHWATTEN GEFASST«.
    Die Bombe ist entschärft. War sowieso eine total verrückte Idee. Nur - die Nacht auf dem Katzenberg bleibt. Was, verdammt noch mal, ist dort geschehen? Sie haben recht gehabt, Doc - kein Mensch kann mit solch einem Loch in der Erinnerung leben. Es ist, als ob einem ein Arm fehlt oder ein Bein. Es ist wie in einem schlechten Traum.
    Wo wir schon dabei sind - was war mit dem anderen Jungen, der bei einem Unfall sein Gedächtnis verloren hat? Wie ist das passiert? Können Sie mir mehr darüber erzählen? Oder - entschuldigen Sie bitte - waren Sie vielleicht selbst der Junge?
    Winter wird niemals rauskriegen, was geschehen ist. Der denkt bloß in eine Richtung: Der Jonas Klinger hat irgendwelche Elektronikbastler kennengelernt. Die haben dem Jungen tausend Mark gegeben, damit er ihnen den Wandler vom Mast holt. Beim Runtersteigen ist der Junge dann abgestürzt.
    Aber ich kenne keine Elektronikbastler. Und ohne Sicherung würde ich niemals auf so einen Mast steigen. Nein, es muss anders gewesen sein. Morgen gehe ich zum Katzenberg. Heute bin ich zu müde. Vielleicht finde ich ja was. Und wenn ich keinen Erfolg habe,
werde ich eben weiterwarten. Irgendwann muss meine Erinnerung ja zurückkehren.

    Ich mache jetzt Schluss. Der Brief ist mir sowieso schon viel zu lang geraten.

    Tschüss
    Ihr Jonas

    Hallo, Doc!
    Gerade hat mir meine Mutter gesagt, dass ich morgen zur Sprachtherapie kommen soll. Zweimal die Woche wollen sie mich dort sehen. Wenigstens brauche ich nicht zu diesem Doktor Winkelmann.
    »Weißt du, wie lange ich deine Stimme nicht gehört habe?«, fragte meine Mutter.
    Keine Ahnung.
    »Konntest du eigentlich schon vor der Nacht auf dem Katzenberg nicht mehr sprechen?«, fragte sie weiter.
    Ich konnte schon.
    Sie zögerte einen Moment. »Und du weißt wirklich nicht, was am Mast passiert ist?«
    »Nein«, schrieb ich und setzte ein dickes Ausrufezeichen dahinter.
    »Entschuldige«, sagte meine Mutter. »Ich frage und frage. Dabei bist du bestimmt noch sehr erschöpft.«
    Ja, erschöpft war ich auch. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Ich habe Angst. Vor dem neuen Schuljahr. Vor den Lehrern. Vor den anderen aus meiner Klasse.
    Was ist, wenn ich auch nach den Sommerferien noch
nicht sprechen kann? Muss ich dann die Schule wechseln? Muss ich dann Zeichensprache lernen? Werden mich die Leute dann genauso mitleidig anglotzen wie die beiden taubstummen Männer, die ich in der Stadt gesehen habe?
    Bevor ich endgültig Depressionen kriegte, machte ich mich auf den Weg zum Mast.
    Meine Eltern waren zur Arbeit, bis zum Abend konnte ich machen, was ich wollte. Ich nahm denselben Weg wie in der Nacht, in der es passiert ist. Ging die Schnellstraße entlang, bog in den Schotterweg zur »Zornigen Ameise« ab, kam in den Wald. Diesmal fielen mir keine Tropfen in den Nacken, alles war staubtrocken, kein Wunder, das Thermometer auf unserer Terrasse zeigte schon gegen zehn 28 Grad im Schatten.
    Während ich zur Sendeanlage lief, wartete ich auf ein Zeichen. Auf ein unheimliches Ziehen im Bauch oder einen pochenden Schmerz im Hinterkopf. Doch nichts geschah. Nein, das stimmt nicht ganz - meine Knie wackelten und mein Atem ging schwer. Aber das waren bestimmt keine Zeichen für die Rückkehr meiner Erinnerung. Sie zeigten mir nur, dass meine Kondition zum Teufel ist.
    Am Mast konnte ich nichts Besonderes entdecken. Das Tor war abgeschlossen, die Bäume und Büsche auf dem Gelände schienen frisch beschnitten zu sein. An der Stelle, an der sie mich in der Nacht gefunden haben, stand das Gras knöchelhoch. Jemand hatte versucht, das Graffito abzuwaschen. Jetzt stand nur noch »DEVIL« an der Barackenwand.

    Im Abfallkorb am Zaun steckten eine Bildzeitung vom 21. Juli und eine halb volle Bierflasche. Von dem Päckchen, das ich in der Nacht hier hineingelegt habe, fand sich natürlich keine Spur. Klar, so blöd sind die auch nicht.
    Die? Wer sind die eigentlich, Doc? Haben sie mich vielleicht gezwungen, auf den Mobilfunkmast zu steigen und den Wandler auszubauen? Haben sie mir vielleicht die tausend Mark zugesteckt, nachdem ich abgestürzt

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