Die Stille zwischen den Sternen
Katzenberg, meine ich.«
Mein Vater nickte. »Was hat Jonas damit zu tun?«
»Ich weiß nicht«, antwortete der Kommissar. »Vielleicht gibt es ja zwischen dem Anschlag heute und Jonas’ Sturz eine Verbindung.«
Er setzte sich an den Terrassentisch. »Wo warst du heute Nachmittag?«, fragte er mich.
»Katzenberg«, schrieb ich.
»Und was hast du da gemacht?«, fragte er weiter.
»Rumgelaufen.«
»Hat dich jemand gesehen?«
Nicht dass ich wüsste.
»Ist dir auf dem Parkplatz ein alter VW-Bus aufgefallen?«, fragte er.
Ich nickte.
»War er nach dem Unglück immer noch da?«
Keine Ahnung. In dem Durcheinander hatte ich nicht mehr darauf geachtet.
»Ich habe die Bombe nicht gebaut«, schrieb ich.
Ich riss den Zettel ab und reichte ihn Winter, ohne dass meine Eltern lesen konnten, was draufstand. Winter las den Zettel und steckte ihn in die Hosentasche. »Welche Bombe?«, fragte er lächelnd. »Wir sehen uns wieder, Jonas«, sagte er und verabschiedete sich.
»Was wollte er eigentlich?«, fragte meine Mutter, als der Kommissar gegangen war.
Ich zuckte mit den Schultern.
Jetzt ist das Durcheinander perfekt: zwei Bomben, zwei Unglücke auf dem Katzenberg, zwei Jungs, die dasselbe Mädchen mögen. Und ich kann mich immer noch nicht erinnern und kann nicht sprechen und kann Rieke nicht mit meiner eigenen Stimme sagen, dass sie mit mir gehen soll. Ich werde noch verrückt, Doc!
Tschüss
Ihr Jonas
Lieber Doktor Bach, am Morgen nach dem Anschlag auf den Mast hatte ich grausame Kopfschmerzen. Jemand hatte eine große Presse aufgebaut und meinen Kopf hineingesteckt. Und dieser Jemand quetschte mir jetzt den Schädel zusammen. Schön langsam. Beim Aufstehen wurde mir schwindlig, im Badezimmer kam es mir vom Geruch der Pasten, Parfüms und Salben hoch. Ich war froh, dass ich es bis in die Küche schaffte.
Meiner Mutter schien es ebenfalls nicht gut zu gehen. Beim Versuch, mir Kakao einzugießen, schüttete sie mir die knallheiße Flüssigkeit über die Finger.
»Au!«, schrie ich.
»Au!«, schrie ich noch einmal.
Meine Mutter stand über mich gebeugt, die Kanne in der Hand, und starrte mich an. »Jonas!«, rief sie. »Jonas, du sprichst!«
Nun erst kriegte ich mit, was passiert war. »Au«, wiederholte ich, obwohl es fast gar nicht mehr wehtat. Und weil es so schön war: »Au, au, au!«
Meine Mutter stellte die Kanne auf den Tisch und zog mich an sich. Diesmal ließ ich es geschehen, mir war einfach danach. »Endlich, Jonas«, rief sie. »Endlich sprichst du wieder!«
Sprechen? Ich weiß nicht. Mein Wortschatz bestand jetzt aus zwei Wörtern, nämlich »mhm« und »au«. Und es war verdammt die Frage, ob man diese beiden Gebilde überhaupt als Wörter bezeichnen konnte.
Meine Mutter gab mir einen Kuss. Auch der war mir nicht unangenehm, Doc.
»Es ist ein Anfang«, sagte sie strahlend. »Glaubst du nicht auch?«
»Au«, sagte ich, und das bedeutete in diesem Fall: Keine Ahnung, Mama.
»Vergiss nicht, dass du um elf deinen Termin bei Frau Fischer hast«, sagte sie. »Ich ruf Papa vom Auto aus an. Er wird sich über deine Fortschritte freuen!«
Sie rief also sofort meinen Vater an. Waren wir vielleicht trotz allem noch eine Familie? Hatten wir vielleicht doch noch eine Chance? Meine Eltern gingen in den letzten Tagen jedenfalls viel freundlicher miteinander um als in der Zeit vor meinem Sturz. War das ein gutes Zeichen?
Da saß ich nun mit meinem »Au« und meinem »Mhm«. Die verbrannte Haut auf den Fingern meiner rechten Hand rötete sich, aber der Schmerz war auszuhalten. Außerdem interessierte mich im Moment etwas ganz anderes: Kehrte meine Sprache wirklich zurück? Oder war das »Au« nichts anderes als eine Reaktion auf den Schmerz gewesen?
»Au«, sagte ich. »Au, au, au.« Na, bitte. Es funktionierte auch so.
Was sollte ich als Nächstes versuchen? Am besten ein kurzes Wort. Vielleicht »Ei«?
»Au«, sagte ich.
Nein, »Ei«!
»Au«, sagte ich. Mist!
Oder ein Wort mit einem Konsonanten? Vielleicht ging das besser. Wie war es mit »Kuh«?
»Mhm«, sagte ich.
Verdammt, es klappte nicht. Was ich auch versuchte, es haute nicht hin. »Mhm« und »Au« blieben das Einzige, was ich aussprechen konnte. Aber noch war der Tag ja nicht zu Ende.
Zuerst fuhr ich zu Frau Fischer. Sie freute sich über meine Fortschritte, ließ sich ausgiebig mein »Au« vorführen und begann mit der Therapie. Wir trainierten wieder die Beweglichkeit meines Mundes. Und schließlich schaffte ich es, die beiden
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