Die Stille zwischen den Sternen
einen Schrecken eingejagt haben. Nein, jetzt will ich mich noch mehr anstrengen, dass beides zurückkommt: Sprache und Erinnerung.
Mit Winter werde ich nicht sprechen. Wenn ich mich auf ihn einlasse, kriegt er das mit der Bombe raus - falls er es nicht sowieso schon weiß. Dann erfahren es nicht nur meine Eltern (das wäre nicht so schlimm), sondern ganz bestimmt auch Rieke (das wäre eine Katastrophe). Oder glauben Sie etwa, die Presse bekäme keinen Wind davon, wenn die Polizei den Bombenbastler von Schwatten findet? Am liebsten hätte ich mit dem ganzen Mist nichts mehr zu tun, würde gern alles ungeschehen machen. Warum kann ich nicht so leben wie andere Jungs in meinem Alter?!
Heute Morgen bin ich zum ersten Mal seit meiner Zeit im Krankenhaus wieder zur Sprachtherapie gegangen.
Die Logopädin heißt Fischer.
»Du kannst also nicht sprechen«, sagte sie, nachdem wir uns an einen runden Tisch gesetzt hatten.
Wäre ich sonst hier?
»Jetzt musst du das auch noch nicht können«, sagte sie. »Wir haben Zeit.«
»Ich nicht«, schrieb ich auf einen der Zettel, die auf dem Tisch herumlagen.
Sie lächelte. »Verstehe ich«, sagte sie. Dann zeigte sie mir Lockerungsübungen für den Mund, ließ mich mein »Mhm« knurren, miauen und singen und spielte am Ende der Stunde mit mir eine Partie Scrabble, die ich haushoch gewann.
»Du wirst es bestimmt schaffen«, sagte sie zum Abschied. »Du bist richtig gut drauf, Jonas.«
Am Nachmittag fuhr ich ins »Dolomiti«. Rieke wartete schon. Sie sah toll aus. Das heißt, eigentlich hatte sie dasselbe an wie am Tag zuvor. Trotzdem war sie noch schöner.
»Geht’s dir gut?«, fragte sie.
Wenn ich dich sehe, immer!
»Wieder Spaghettieis?«
Was sonst?
»Heute zahle ich«, sagte sie.
Wieder nickte ich. Ich war so froh, sie zu sehen, dass ich auch genickt hätte, wenn sie mich aufgefordert hätte, mit ihr nach Amerika zu schwimmen.
»Du guckst so«, sagte sie, während wir unser Eis löffelten.
»Braun und grün«, schrieb ich auf den Block.
»Ach, du meinst meine Augen, Jonas. In meinem Ausweis steht, dass das linke Auge braun und das rechte grau ist.«
Stimmt nicht. Braun und grün.
Sie lachte. »In Ordnung. Wie du willst.«
»Hast du einen Freund?«, schrieb ich. Ich musste sie das fragen, Doc. Das verstehen Sie doch, oder?
»Na ja«, antwortete sie.
»Briefchen in der Schule«, schrieb ich.
»Mhm«, machte sie.
»Fährst du weg?«
»Du meinst, in Urlaub?«
Ich nickte.
»In einer Woche fliegen wir nach Tunesien.«
Nur noch eine Woche, ging es mir durch den Kopf. Nur noch eine einzige Woche!
»Wollen wir ein bisschen rumfahren?«, schrieb ich.
Nachdem Rieke gezahlt hatte, stiegen wir auf unsere Räder. Wir fuhren raus zum Kanal. Die Sonne spiegelte sich im Wasser, immer wieder begegneten wir Schwänen, die träge zu uns heraufschauten. Die ganze Zeit über schwiegen wir, aber ich hatte das Gefühl, dass wir uns unheimlich viel zu erzählen hatten.
Die Uhr auf meinem Schreibtisch zeigt 22.30 Uhr. Ich mache für heute Schluss. Arbeiten Sie nicht so viel, Doc. Nehmen Sie sich den Echinocereus zum Vorbild. Kakteen lassen sich jede Menge Zeit. Haben Sie Ihren Kaktus rausgestellt? Tun Sie es. Er wird Sie dafür mögen.
Gute Nacht
Ihr Jonas
Hallo, Doc!
Heute Morgen hat mich Kommissar Winter besucht. Meine Eltern waren gerade aus dem Haus. Der Mann lässt nicht locker.
Wir setzten uns in die Küche. Ich brachte ihm ein Glas Sprudel, das er in einem Zug austrank.
»Das tat gut. Danke, Jonas«, sagte er. »Kennst du einen Uhrmacher namens Weißkopf?«, fragte er ohne Übergang.
Weißkopf? Nie gehört. Oder meinte der Kommissar etwa den Uhrmacher mit den Haaren in den Ohren? Jetzt musste ich aufpassen, es wurde ernst.
»Der Mann kennt dich aber«, sagte Winter. »Er hat dir eine Lupe verkauft. So eine Uhrmacherlupe, die man sich ins Auge klemmt. Herr Weißkopf erinnert sich, dass du zwei Tage vor deinem Sturz bei ihm gewesen bist. Du hättest überhaupt nichts gesagt, hat er mir erzählt. Na, fällt es dir vielleicht doch wieder ein?«
Was sollte ich tun, Doc? Mich dumm stellen? Einfach alles abstreiten? Das hatte keinen Sinn, der Weißkopf würde mich garantiert wiedererkennen.
Also nickte ich. Vorsichtig.
»Prima«, sagte Winter freundlich. »Und wofür hast du die Lupe gebraucht? Zum Basteln?«
Wieder nickte ich. Ich wusste genau, was nun kommen würde. Und richtig: »Kim hat mir erzählt, dass du eine eigene Werkstatt hast. Darf ich sie mal
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