Die Stille zwischen den Sternen
Katzenberg bog ich schließlich von der Straße ab. Der Parkplatz stand voller Autos, klar, es war Sonntag. Einige auswärtige waren dabei, darunter auch ein uralter VW-Bully mit Hamburger Kennzeichen.
Ich hatte keine Lust, zwischen den Spaziergängern Slalom zu fahren. Deshalb schloss ich mein Rad mit der Kette an einen Baum, nahm zur Sicherheit den Sattel mit und machte mich zu Fuß auf den Weg in den Wald. Langsam beruhigte sich mein Puls, das Zittern in den Beinen hörte auf. In der Nähe des Mobilfunkmastes, ein Stück von den Hauptwegen entfernt, legte ich mich auf eine Wiese. Es war still, nur Vögel und Grillen waren zu hören. Hier wäre ich gern mal mit Rieke hingegangen. Ach, Scheiße …
Plötzlich gab es einen dumpfen Knall. Er kam aus Richtung des Mastes. Zuerst dachte ich an eine Silvesterrakete. Doch im nächsten Augenblick legte sich der Mast auf die Seite. Dann knickte er in der Mitte durch und schlug unter lautem Getöse eine Schneise in den Wald.
Meine Wiese lag nicht in Fallrichtung. Trotzdem warf ich mich herum und presste das Gesicht ins Gras.
Als nichts weiter passierte, sprang ich auf. Am Himmel war eine riesige Wolke aus Blättern und Staub zu sehen, die sich langsam dorthin senkte, wo bis vor ein paar Sekunden der Mobilfunkmast gestanden hatte. Für einen Moment war es still, nicht einmal Vogelgezwitscher war zu hören. Schon komisch - was ich im Gasometer geplant hatte, erlebte ich jetzt hier im Wald. Da war sie, die Stille. Sie war schön, unheimlich schön. Sie war fast genau so, wie ich sie mir vorgestellt hatte.
Dann brach im Wald das Chaos aus. Alle Leute, die auf dem Katzenberg spazieren gingen, schienen genau in diesem Augenblick an derselben Stelle zu sein. Natürlich rannte auch ich los.
Der Mast hatte das Dach der Baracke durchschlagen, Schlehdornbüsche und Zaun waren niedergewalzt. Vom »DEVIL« war nur noch das »L« übrig geblieben, auf dem Platz, auf dem sie mich in der Nacht gefunden hatten, lag ein verbogenes Stück der Leiter. Zum Glück war niemand verletzt worden. Jedenfalls berichtete das ein Mann, der sich den umgestürzten Mast auf der ganzen Länge angeschaut hatte. Die Leute um mich herum
redeten aufgeregt durcheinander, einige machten sogar Fotos, kletterten dafür auf umgestürzte Baumstämme. Überall hingen abgerissene Stromleitungen in der Luft. Die Feuerwehr, die inzwischen eingetroffen war, sperrte den Platz sofort ab.
Ich war zu erschöpft, um noch länger zu bleiben. Als ich zurück zum Parkplatz ging, sah ich zwischen den Menschen, die mich nur widerwillig durchließen, ein Gesicht, das mir bekannt vorkam. Es gehörte einem Mann, der eine Baskenmütze trug. Er sprach mit einem Monteur der Mobilfunkgesellschaft. Jedenfalls trug er eine Kappe mit dem Zeichen der Firma.
Den Monteur hatte ich noch nie gesehen. Aber ich war mir ganz sicher, dass ich den Mann mit der Baskenmütze kannte, ich wusste nur nicht, woher. Aber bevor ich mich zu ihm durchkämpfen konnte, war er schon verschwunden.
Könnte es nicht sein, dass der Mann aus dem schwarzen Loch stammt? Was meinen Sie, Doc? Dass er in der verfluchten Nacht eine Rolle gespielt hat? Dass ich ihn vielleicht sogar am Mast gesehen habe? Dass sich der Nebel endlich zu verziehen beginnt?
Den Berg hinunter nach Schwatten ließ ich mein Rad laufen. Hinter mir waren Sirenen zu hören und der Lärm von Kettensägen.
»Weißt du, was da draußen los ist?«, fragte mich mein Vater. Er saß zu Hause auf der Terrasse und las Zeitung.
Ich ließ mich auf einen der Gartenstühle fallen und schrieb auf den Block: »Sendemast umgestürzt.«
»Wie kann denn so was passieren?«, fragte er erschrocken.
»Eine Bombe.«
»Bist du sicher, Jonas?«
Ich dachte an den Knall, den ich auf der Wiese im Wald gehört hatte, und nickte.
»Gibt es Verletzte?«, fragte mein Vater.
Ich schüttelte den Kopf und goss mir ein Glas Sprudel ein.
»Na, Gott sei Dank«, sagte er. »Woher weißt du das eigentlich alles?«
»Ich war in der Nähe.«
»Du warst in der Nähe?«, rief er, sprang auf und versuchte, mich zu umarmen. Ich ließ es nicht zu.
Später tauchte Kommissar Winter auf, er hatte wirklich keine Zeit verloren. In seinen Augenwinkeln war etwas, das sich schwer beschreiben lässt, Doc. Irgendwas zwischen Freundlichkeit und Grausamkeit.
»Sie kommen am Sonntag?«, fragte mein Vater.
»Es muss sein«, antwortete Winter. »Tut mir leid. Sie haben sicher von dem Anschlag auf den Mobilfunkmast gehört. Oben auf dem
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