Die stillen Wasser des Todes - Roman
sie den Kronleuchter angestarrt und ihn dann mit einem ganz bestimmten Blick bedacht, jenem Blick, der hieß: Jetzt hast du wohl vollkommen den Verstand verloren.
»Der Stil soll eklektisch sein«, hatte er sich verteidigt.
»War sie hübsch?«, hatte Becca erwidert.
Als Freddies Telefon erneut zu läuten begann, fiel ihm ein, dass er es im Wohnzimmer hatte liegen lassen. Er überlegte plötzlich, ob es vielleicht jemand sein könnte, der anrief, um ihm zu sagen, dass das Ganze eine Verwechslung gewesen war, dass die Tote, die sie gefunden hatten, gar nicht Becca war. Wer war eigentlich dieser Typ, der sie identifiziert hatte? Dieser Ruderer?
Er rappelte sich auf und stolperte mit rasendem Puls ins Wohnzimmer zurück, doch bis er dort ankam, war das Telefon schon wieder verstummt. Er sah die lange Liste von verpassten Anrufen durch – alles unbekannte Nummern –, und dann entdeckte er, dass er eine Nachricht hatte. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Was, wenn –
Doch als er die Nachricht abhörte, war es eine weibliche Stimme, die sich als Reporterin der London Chronicle identifizierte und um ein Statement zu seiner Exfrau bat.
Freddie sank auf die Couch, und seine Hand, die das Telefon hielt, fiel schlaff herab.
Dann war es also wahr. Es musste wahr sein. Und ihm wurde bewusst, welche Pflicht ihm heute noch bevorstand.
Das Telefon läutete schon wieder, und die Vibrationen fuhren durch seine Finger wie eine Schockwelle. Er ließ das Telefon erst fallen, schnappte dann danach und klaubte es mit zitternden Händen auf. Wenn es diese Reporterin war, würde er ihr sagen, sie solle sich zum Teufel scheren.
Aber der Name auf dem Display war ihm vertraut, und Freddie hätte fast vor Erleichterung aufgeschluchzt, als er sich meldete. »Ross?«
»Mensch, Scheiße, Alter«, sagte Ross Abbott. »Chris hat’s in der Arbeit gehört. Sie meinte, ich soll dir sagen – Also, ich wollte dir sagen – Es tut uns so leid. Kann ich irgendwas für dich tun?«
Freddies Blick fiel auf die zwei dunkelblauen Oxford-Ruder, die an der Wohnzimmerwand hingen. Sie waren zusammen gerudert, zwei Mal, und sie waren Freunde, seit sie als picklige Jungs das gleiche Internat besucht hatten. Er klammerte sich am Rettungsring des Vertrauten fest.
»Ross, ich muss – ich muss heute noch ins Leichenschauhaus. Um sie zu identifizieren. Kannst du mitkommen?«
Kincaid hatte nicht gut geschlafen, trotz seines luxuriösen Himmelbetts. Ihm wurde bewusst, dass es Monate her war, seit er zuletzt eine Nacht getrennt von Gemma verbracht hatte, und er vermisste den friedlichen Rhythmus ihres Atems, die Wärme ihres Körpers, wenn sie einander in der Nacht berührten. Dabei hatte es in den vergangenen zwei Monaten kaum eine Nacht gegeben, in der Charlotte nicht in den frühen Morgenstunden zwischen sie gekrabbelt war – aber er stellte fest, dass er auch das vermisste.
Neuerdings hatte Charlotte die Angewohnheit, sich mit dem Rücken an Gemma zu kuscheln und den Kopf auf Duncans Schulter zu legen, sodass ihre Löckchen ihn in der Nase kitzelten. Wenn sie dann wieder eingeschlafen war, nahm derjenige von ihnen, der am wachsten war, sie hoch und legte sie wieder in ihr eigenes Bettchen, doch er selbst tat das immer ein wenig widerstrebend. Bei Kit hatte er diese Phase versäumt. Und Toby, der im Wachzustand ein solcher Wirbelwind war, hatte schon immer so fest geschlafen, als hätte man ihm den Strom abgeschaltet.
Als das erste Licht durch den Spalt zwischen den schweren Vorhängen seines Zimmers drang, stand er auf, duschte und legte seinen Hochzeitsstaat an. Nicht zum ersten Mal war er froh, dass er zu Winnies Zeremonie einen normalen Anzug getragen hatte und nicht etwa einen Cut. Er wäre sich ganz schön dämlich vorgekommen, wenn er in diesem Aufzug Verdächtige vernommen hätte.
Da er keine Zeit verlieren und möglichst bald in der SOKO - Zentrale auf dem örtlichen Polizeirevier sein wollte, rief er Cullen an und machte dessen Hoffnungen auf ein ausgiebiges Frühstück im Speisesaal des Hotels zunichte. »Auf dem Weg zur Wache gibt es ein nettes Café – Maison Blanc, wenn ich mich nicht irre«, sagte Kincaid. »Wir können uns dort Kaffee und Gebäck holen, und unterwegs berichten Sie mir dann von Ihren Recherchen.«
Ein paar Minuten später trafen sie sich in der Lobby. Als sie vor die Tür traten, wurden sie von milchigem Sonnenschein und beinahe frühlingshafter Luft begrüßt. Kincaid blickte zu den Wolken auf, die langsam
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