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Die stillen Wasser des Todes - Roman

Die stillen Wasser des Todes - Roman

Titel: Die stillen Wasser des Todes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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bei ihm geweckt hatte wie dieser Raum. Die Rattanmöbel verliehen der Einrichtung einen kolonialen Anstrich wie ein Überbleibsel aus den Tagen des britischen Empire. Und man hatte eindeutig das Gefühl, dass Generationen von privilegierten Familien dieser reichen Marktstadt an der Themse ihren Stempel aufgedrückt hatten. Eine Atmosphäre, bei der sich einem Liberalen wie seinem Vater die Nackenhaare aufstellen würden.
    Aber die Steak and Mushroom Pie , für jeden waschechten Engländer der Inbegriff einer ordentlichen Mahlzeit, gedachte Kincaid ebenso wenig zu verschmähen wie den Benvulin Single Malt, den er hinter dem Tresen entdeckt hatte.
    Nachdem sie bestellt hatten und mit ihren Getränken zum Tisch zurückgegangen waren, hob er sein Glas und prostete Doug zu. »Cheers, alter Knabe. Auf lang aufgeschobene Genüsse. Und auf das schwere Los des Hausbesitzers.«
    Cullen strahlte und hob ebenfalls sein Glas. Er nahm einen Schluck und lief prompt rot an. »Guter Whisky«, sagte er und rieb sich die tränenden Augen. »Bisschen kräftig.«
    »Ganz kleine Schlucke nehmen«, riet ihm Kincaid. »Aber zuerst einen winzigen Spritzer Wasser dazugeben. Erinnern Sie sich dran, was Sie damals bei der Whiskyverkostung gelernt haben.«
    Er nahm selbst noch ein Schlückchen, schloss die Augen und genoss die komplexen Heidekraut-, Honig- und Butteraromen des Whiskys. War die Reise nach Schottland, bei der er zuerst Bekanntschaft mit Benvulin gemacht hatte, wirklich das letzte Mal gewesen, dass er und Gemma ohne die Kinder irgendwohin gefahren waren? Und angesichts des ausgesprochen tragischen Falls, in den sie damals hineingezogen worden waren, konnte man diesen Aufenthalt kaum als Urlaub bezeichnen.
    Das musste sich dringend ändern. Jetzt hatte er Gemma schon drei Mal geheiratet, da sollte er doch wenigstens in der Lage sein, ihr eine Hochzeitsreise zu bieten. Vielleicht könnten sie sich ein Zimmer im Red Lion nehmen, wenn Gemma sich erst wieder eingearbeitet hatte und die Sache mit der Kinderbetreuung geregelt war.
    Das Essen kam, und sie machten sich beide mit der schweigsamen Konzentration des wahrhaft Ausgehungerten darüber her. Nachdem sie die letzten Krümel von ihren Tellern gekratzt hatten, trank Kincaid den Kaffee aus, den er bestellt hatte, um den Whisky zu neutralisieren, und ließ alles auf seine Zimmerrechnung setzen.
    »Gehen Sie nur hoch und genießen Sie Ihr Himmelbett«, sagte er zu Doug. »Träumen Sie schön von Charles I ., aber schauen Sie vorher bitte noch, was Sie so über Freddie Atterton herausfinden können.« Er wusste, dass Cullen auf direktem Weg nach Henley gekommen war und seinen Laptop nicht dabeihatte, doch er vertraute auf den Einfallsreichtum seines Sergeants.
    Ihm selbst lag allerdings das üppige Essen ein wenig im Magen, und der zweite Whisky, den er sich dazu genehmigt hatte, stieg ihm zu Kopf. Er fand, dass er dringend einen Verdauungsspaziergang und ein wenig frische Luft brauchte.
    Nachdem er sich in der Lobby von Doug verabschiedet hatte, verließ er das Hotel und hielt einen Moment inne, um sich zu orientieren, indem er sich seine früheren Aufenthalte in Henley ins Gedächtnis rief. Im Gegensatz zu Doug, dessen Bild der Stadt sich aus vorwiegend ungetrübten Schuljungenszenen zusammensetzte, verband Kincaid damit eher unangenehme Erinnerungen, versetzt mit Reue über Dinge, die er besser nicht getan hätte, und Bedauern über versäumte Gelegenheiten.
    Er dachte an die Frau, die sie im Fluss gefunden hatten, und an die neongelbe Jacke, die ihr keinen Schutz geboten hatte. War Rebecca Meredith hier glücklich gewesen?
    Der Tod hatte jede Spur ihres Charakters aus ihren Zügen gelöscht. Um sich ein Bild von ihr zu machen, hatte er lediglich die flüchtigen Eindrücke, die ihm die wenigen Fotos in den Regalen in ihrem Cottage vermittelt hatten – und die Gefühlsregungen in den Gesichtern der Menschen, die sie gekannt hatten.
    Was war dieser starken Frau und Weltklasseruderin letzte Nacht auf dem Fluss zugestoßen?
    Er überquerte die Straße, ging bis in die Mitte der Brücke und blickte flussabwärts. Dunkel und unergründlich floss die Themse unter ihm dahin, und er konnte sich nicht vorstellen, hier allein in der Abenddämmerung hinauszurudern, in einem so schmalen und zerbrechlichen Boot.
    Am anderen Ende der Brücke erlosch gerade das Licht in einem Fenster des Leander-Clubs. Was mochten sie dort jetzt empfinden?, fragte er sich. Wie würden sie auf den Tod einer der ihren

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