Die stillen Wasser des Todes - Roman
Miene war angespannt, als nähme er das Fehlen von Fortschritten persönlich.
Kincaid wandte sich an Cullen und fragte ihn: »Wie fest müsste man zuschlagen, um so einen Kunststoffrumpf zu beschädigen?«
»Heutzutage sind die meisten Boote mit Kevlar verstärkt. Trotzdem sind sie recht spröde und zerbrechlich, und es kommt relativ oft zu kleineren Schäden. Ich bin mal gegen einen Brückenpfeiler gerudert, als ich auf dem Internat war. Es war zwar nur ein altes Übungsboot, aber der Trainer war nicht begeistert.«
Kincaid konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Sie sind gegen eine Brücke gerudert?«
»Man fährt da rückwärts , falls Ihnen das noch nicht aufgefallen ist«, entgegnete Cullen leicht beleidigt. »Manche Ruderer entwickeln deshalb die unschöne Angewohnheit, ständig über die Schulter zu schauen. Das macht sie langsamer. Andere richten einfach beim Start ihr Boot aus und hoffen das Beste.«
»Und Sie gehörten wohl zur zweiten Kategorie.«
Cullen ignorierte den Seitenhieb. »Wenn man die Strecke gut kennt, was bei Rebecca Meredith der Fall gewesen sein dürfte, dann lernt man, sich an Landmarken zu orientieren.«
»Was ist mit dem Cottage?«, fragte Kincaid Singla. »Haben Sie dort irgendetwas gefunden?«
»Nichts, was irgendwie aus dem Rahmen fällt. Ich habe ihren Laptop ins Labor geschickt. Die Anrufe auf ihrem Festnetzanschluss scheinen sich mit den Angaben des Exmanns zu decken. Er hinterließ eine Nachricht ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Milo Jachym sie mit dem Boot losrudern sah, und noch weitere später am Abend sowie am folgenden Morgen.«
»Er hätte von überall anrufen können«, meinte Kincaid nachdenklich. »Vielleicht wollte er nur überprüfen, ob sie tatsächlich rudern gegangen war. Was ist mit ihrem Handy? Wurde es im Haus gefunden?«
»In ihrer Handtasche.« Singla deutete mit dem Kopf auf einen Plastikbeutel, der zwischen den Papieren auf dem Tisch lag. »Ich habe den Constable, der dort zur Wache eingeteilt war, gebeten, ihre persönlichen Gegenstände mitzubringen. Aber wir kennen das Passwort für ihre Mailbox nicht.«
»Da wird Mr. Atterton uns vielleicht weiterhelfen können. Aber inzwischen …« Kincaid zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor, setzte sich und öffnete den Beutel, um das Handy herauszunehmen. Es war ein neues Modell mit allen Schikanen, wie man es bei einer leitenden Polizeibeamtin erwarten würde. Doch als er das Display berührte, erschien das voreingestellte Hintergrundbild des Mobilfunkanbieters.
Neugierig geworden, sah er im Fotoarchiv des Handys nach und fand nichts. »Merkwürdig. Sie hatte keine Fotos auf ihrem Handy gespeichert.« Er probierte eine andere Anwendung aus. »Und ihren Kalender hat sie auch nicht benutzt.«
Rasch scrollte er durch ihre E -Mails und SMS , doch sie schienen alle dienstlich zu sein, bis auf eine SMS von Freddie Atterton, gesendet ungefähr zu der Zeit, als sie losgerudert war. Sie lautete: Ruf mich an!!! Ich habe mit Milo gesprochen. Es waren auch zwei Nachrichten auf der Mailbox angezeigt, doch er konnte sie nicht abrufen. Visual Voicemail gab es nicht.
Anschließend sah er die Liste der Kontakte durch – sie war kurz, was ihn inzwischen nicht mehr überraschte. Sie zu überprüfen, wäre ein Job für Doug, doch vorerst registrierte er nur erfreut, dass sie ihre eigene Handynummer eingespeichert hatte. Er nahm sein eigenes Telefon heraus und rief sie an.
Der Klingelton war ebenso standardmäßig wie das Hintergrundbild – ein doppeltes Läuten.
Ein sehr sonderbares Bild von Rebecca Meredith begann sich in seinem Kopf zu formen. »Sie hatte nicht zufällig noch ein anderes Handy?«, fragte er Singla.
»Wir haben jedenfalls keines gefunden.«
Kincaid durchwühlte den restlichen Inhalt des Beutels und begann die einzelnen Gegenstände laut zu katalogisieren. »Ein Schreibstift«, sagte er. »Schwarz, ziemlich teuer; ein Tintenroller, nicht etwa einer dieser klecksenden Schönschriftfüller. Eine Brieftasche, schwarzes Leder. Und darin haben wir einen Führerschein, eine Geldkarte, eine Kreditkarte, eine Kundenkarte von Selfridges.« Er nahm sich den Führerschein noch einmal vor und betrachtete das Foto. Trotz ihres relativ langen Gesichts waren Rebecca Meredith’ Züge ebenmäßig, und unter anderen Umständen hätte man sie durchaus hübsch nennen können. Aber auf diesem Foto starrte sie so streng in die Kamera, als ob sie mit jemandem gewettet hätte, dass sie auf keinen Fall lächeln
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