Die Stimme des Blutes
den Arm.
Roland legte sich aufs Bett und fühlte seiner Frau den Puls. Er schlug stark und regelmäßig. Sie würde am Leben bleiben. Seine Erleichterung war unendlich groß.
Nein, er freute sich nicht darüber, daß das Kind tot war. Es wäre überhaupt besser gewesen, er hätte den Mund gehalten. Aber jetzt war es zu spät.
Graelam de Moreton saß aufrecht im Bett, und vor ihm stand kampflustig seine Frau. Sie waren mitten in einem erregten Streitgespräch, als Roland dazu kam.
»Raus mit dir, Kerl!« rief Graelam. »Und mich kannst du gleich mitnehmen!«
»Nein, Roland«, rief Kassia halb lachend, »bleib hier! Ich werde allein kaum noch mit Graelam fertig. Vielleicht könnt Ihr ihm klar machen, daß er impotent werden kann, wenn er seine Verletzungen nicht auskuriert. Ich habe ihm vergeblich gesagt, was Männern zustößt, die mißachten, was ihnen der gesunde Menschenverstand ihrer Frauen rät.«
»Es ist einfach gräßlich, was sie mir prophezeit«, sagte Graelam. »Aber ich glaube es nicht. Du etwa?«
»Ich verstehe ihre Besorgnis durchaus«, sagte Roland mit angestrengt ernster Miene. »Schließlich hast du mir ja oft genug erzählt, daß deine Rute deine Frau glücklich macht. Was soll sie dann tun, wenn deine Rute Schaden nimmt?«
Kassia schnappte nach Luft. »Hat er das wirklich gesagt, Roland?«
»So etwas habe ich selbstverständlich nie gesagt!«
»Ja, du hast recht, Graelam. Deine genauen Worte lauteten, daß die Rute des Mannes ein Maßstab für seinen Wert als Krieger ist und daß du daher genauso bedeutend wie Karl der Große bist.«
Graelam warf grinsend eine hölzerne Wasserkaraffe nach Roland. Danach fiel er in die Kissen und büßte die Anstrengung mit neuen Schmerzen.
Seine Frau strich ihm über die Brust, und unglaublicherweise ließen die Schmerzen nach. »Du meinst wohl, du hättest alles unter Kontrolle, Weib?«
Sie gab ihm einen Kuß und sagte: »Ja.« Dann wandte sie sich an Roland: »Er wird sich schon bessern. Allerdings darf ich in Zukunft nicht mehr beim Damespielen gegen ihn verlieren. Sonst kommt er noch dahinter, daß ich ihn immer absichtlich gewinnen ließ.«
Graelam lächelte. »Ja, ich werde mich bessern. Weißt du, Roland, es ist nur so verflucht langweilig. Jetzt liege ich schon zwei Tage flach!«
»Von Lady Katherine hörte ich, daß du morgen wieder aufstehen darfst.«
»Und Daria? Wann kann sie wieder aufstehen?«
Roland zuckte die Achseln und bückte sich nach der Wasserkaraffe, die auf dem Fußboden gelandet war.
»Meinetwegen hat sie das Kind verloren. Es tut mir sehr leid, Roland.«
»Lady Katherine sagt, es sei Gottes Wille gewesen, daß sie dich gerettet hat. Wenn dies die Wahrheit ist, so sollten wir es dabei belassen. Ein Vorwurf ist keinem zu machen, Graelam. Hör jetzt auf deine Frau und bleibe im Bett! Daria geht es recht gut. Übrigens wartet Rolfe draußen. Er will in irgendeiner Angelegenheit mit dir sprechen.«
Roland ging aus dem Zimmer und begab sich zu den Stallungen. Er wollte für ein paar Stunden allen schmerzlichen Gedanken entfliehen und den Kopf wieder frei haben.
Nicht daß Daria noch etwas zu ihm gesagt hätte. Sie hatte den ganzen Tag verschlafen, war erst am frühen Abend aufgewacht und hatte die eigens von Alice zubereitete Rindfleischbrühe zu sich genommen. Als er zu ihr kam, war ihm, als wäre sie gar nicht da. Im Bett lag nicht seine Daria, sondern nur eine blasse Kopie von ihr. Sie hatte ihn kurz angesehen und sich dann umgedreht. Er hatte diese Nacht, in eine Decke gehüllt, im großen Saal geschlafen, einen der Hunde zu seinen Füßen.
Im Schlafzimmer war es fast dunkel, doch Daria traf keine Anstalten, eine Kerze anzuzünden. Nach der großen Hitze des Tages wurde es endlich kühler. Sie zog eine leichte Decke über sich. Sie hatte keine Schmerzen mehr, nur noch diese verdammte Schwäche.
Mit anmutigen, leichten Schritten kam ihre Mutter herein. Sie brachte ein Tablett mit vielen köstlichen Speisen von Alice. Daria schloß schnell die Augen, aber doch nicht schnell genug.
»Nein meine Liebe, du brauchst dich nicht schlafend zu stellen. Du mußt etwas essen.«
Daria wollte nicht wach sein, wollte nicht hier sein. Laut sagte sie: »Ich wünschte, ich wäre gestorben, Mutter. Dann wären alle Probleme gelöst.«
»Dann wären deine, aber wirklich nur deine Probleme gelöst. Du würdest nichts mehr merken. Und die Probleme der anderen?« Wenigstens spricht sie wieder, dachte Katherine und fuhr fort: »Du mußt
Weitere Kostenlose Bücher