Die Stimme des Blutes
handeln. Es soll ein großer blonder Mann mit blasser Haut sein, der das stärkste Kampfroß reitet, das der Händler je gesehen hat. Ob dein Onkel wohl so dumm sein wird, daß er versucht, in die Burg einzudringen, um dich zu töten?«
»Mein Onkel würde dich nie offen angreifen. Er ist ein tückischer Mensch und wird bestimmt eine andere Möglichkeit finden, glaube mir! Er wird versuchen, dir irgend etwas Wertvolles zu entwenden. Das benutzt er dann als Druckmittel gegen dich. Vielleicht Schmuck, vielleicht Münzgeld.«
»Wertvoll für mich bist allein du. Ich schwöre dir, daß ich ihn nie in deine Nähe gelangen lassen werde.« Dann lächelte Roland und fragte: »Möchtest du jetzt eine Partie Dame mit mir spielen? Ich würde es wie Kassia machen und dich absichtlich gewinnen lassen.«
21
Geduldig wartete Graelam de Moreton, bis Lady Katherine auf der Treppe verschwunden war. Dann ging er so vorsichtig und langsam wie ein alter Mann über den schmalen Flur. Alle Rippen taten ihm dabei weh, ein ziehender Schmerz. Schließlich schlüpfte er in Darias Schlafzimmer.
Daria lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Die Decke hatte sie bis über die Brust gezogen. Duftig ruhte ihr dunkles Haar auf den Kissen. Wie schön es ist, dachte er, wie Kassias, nur dunkler. Aber sie war immer noch sehr blaß, und die Knochen traten aus dem Gesicht hervor. Als spüre sie, daß jemand im Zimmer war, schlug sie die Augen auf, und der Atem stockte ihr, als sie ihn im trüben Lichtschein erkannte.
»Lord Graelam! Ihr habt mir einen schönen Schreck eingejagt.« Sie stützte sich auf die Ellbogen. »Dürft Ihr denn das Bett schon verlassen, Mylord? Eure Rippenverletzungen können doch noch nicht wieder verheilt sein. Soll ich ...«
Lächelnd drückte er sie aufs Bett zurück. Dann nahm er ihre rechte Hand in seine Hände. »Ich wollte mit Euch sprechen«, sagte er.
Im selben Augenblick schien sie sich von ihm zurückzuziehen. Ihre Miene vereiste, ihr Blick wurde argwöhnisch. Es war, als richte sie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen auf.
»Nein, wendet Euch nicht ab! Das wäre feige, und feige seid Ihr nicht, Daria. Sonst hättet ihr nicht meine Männer zur Seite geschoben, um an die Stelle zu kommen, wo ich lag, und hättet nicht diese schweren Gesteinsbrocken weggeräumt.«
»Manchmal bleibt einem keine andere Wahl.«
»Meine Männer haben mir alles berichtet. Sie sprachen von nichts anderem als darüber, wie mutig Ihr gewesen seid. Sie waren überrascht, ja, sogar bestürzt, denn zeitweise kamt Ihr ihnen wie besessen vor. Aber da Ihr mich gerettet habt, würden sie Euch fast alles nachsehen.« Er grinste. »Meine Männer sind treu.«
»Wie Eure Gattin.«
»Da habt Ihr recht. Sie würde einem Feind von mir, der mich bedroht, die Kehle durchschneiden.« Graelam sah an ihr vorbei zum Fensterspalt. »Ich weiß jetzt alles über Roland und Euch.«
»Nein!«
»Es ist nicht so, daß Euer Gatte mich ins Vertrauen gezogen hätte, obwohl es mir lieb gewesen wäre. Nein, ich habe zufällig ein Gespräch zwischen ihm und Eurer Mutter mit angehört. Sie haben es nicht gemerkt. Sie war verstört und bedrängte ihn. Doch er blieb abweisend. Eure Geschichte ist wirklich sonderbar. Sie gibt Rätsel auf, die aber bestimmt nicht unlösbar sind. Ich wundere mich nur, daß Ihr aufgeben wollt. Da habt Ihr mich enttäuscht. So verhält sich keine Frau, die mir so tapfer mein elendes Leben gerettet hat.«
»Er glaubt mir ja doch nicht. Soll ich denn immer weiter meine Unschuld beteuern, bis er sich gänzlich von mir zurückzieht?«
»Im Grunde ist es doch nur so, daß er sich an jene Nacht in Wrexham nicht erinnert. Ich frage mich, wie man seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte.«
»Nein. Entscheidend ist, daß er mir einfach nicht glauben will. Dabei bin ich seine Frau und liebe ihn. Vom ersten Augenblick an habe ich ihn immer geliebt.«
Zu Darias Überraschung lachte Graelam. »Nein, seht mich nicht so an, als wäre ich ein gefühlloses Ungeheuer! Ich denke nur gerade an die Anfangszeit meiner Ehe. Da bestand auch zwischen Kassia und mir ein tiefer Zwiespalt. In einer bestimmten Angelegenheit wollte ich ihr nicht glauben. Und später hatte ich sie so liebgewonnen, daß uns die Sache völlig unbedeutend schien. Als sich dann schließlich herausstellte, daß sie doch die Wahrheit gesagt hatte, spielte das überhaupt keine Rolle mehr.«
»Bei uns liegt die Sache leider anders. Roland liebt mich nicht und wird mich nie
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