Die Stimme des Blutes
dein Päckchen tragen wie alle anderen auch. Aber darum geht es doch gar nicht, stimmt's Daria?«
»Es geht darum, daß ich keine Veranlassung mehr habe, hierzubleiben, auf seiner Burg, seine Speisen zu mir zu nehmen und in seinem Bett zu schlafen.«
Von der Tür her war Rolands Stimme zu vernehmen. Katherine wirbelte herum. Wieviel hatte er mitgehört? Daria wandte den Kopf ab. Roland sieht müde aus, dachte Katherine.
Er sagte zu ihr: »Ich sorge dafür, daß sie etwas ißt, Katherine. Sir Thomas vermißt dich, er ist ganz unruhig. Es wäre mir lieb, wenn du die Rolle der Gastgeberin übernimmst, bis Daria wieder gesund ist.«
Katherine warf noch einen Blick auf ihre Tochter. Dann wandte sie sich ihrem Schwiegersohn zu. Sie wollte ihn noch einmal um Nachsicht für ihre Tochter bitten. Doch als sie sein verschlossenes Gesicht und die kalten Augen sah, ließ sie es bleiben.
Roland wartete, bis sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Dann sagte er zu Daria: »Du wirst jetzt essen.«
Daria rührte sich nicht und sagte kein Wort.
»Du bist nicht gestorben, Daria. Wir haben immer noch Probleme, und du mußt mithelfen, sie zu lösen. Das bedeutet, daß du bald wieder das Bett verlassen mußt. Du mußt zu Kräften kommen, schon um deinetwillen. Dabei kann ich dir kaum helfen. Jetzt iß, oder ich muß dich dazu zwingen. Ich sage es dir nicht noch einmal.«
Als sie nicht reagierte, faßte er sie unter die Arme und zog sie hoch, so daß sie nun saß. »Hast du noch Schmerzen?«
»Nein.«
»Gut. Ich stelle dir das Tablett hin und du ißt. Ich bleibe so lange hier, bist du gegessen hast.«
Sie drehte sich zu ihm um. In den beiden letzten Tagen hatte er sich von ihr ferngehalten. Jetzt schien er seine Taktik geändert zu haben. Seine Stimme klang kalt, seine Miene war streng. Seine schönen dunklen Augen betrachteten sie ohne jedes Gefühl.
Warum belästigte er sie überhaupt? Warum spielte er den besorgten Ehemann? Das ergab für sie keinen Sinn. Laut sagte sie: »Was soll das alles? Was willst du eigentlich von mir? Von mir aus kannst du die Ehe für ungültig erklären lassen. Ich bezweifle allerdings, daß ich überhaupt ein Wort dabei mitreden darf.«
Er hob eine schwarze Augenbraue. »Hier sind geschmorte Karotten und Bohnen. Iß davon!«
Daria tat es. Das Schmorgemüse schmeckte köstlich. Auf einmal wurde ihr bewußt, wie ausgehungert sie war. Das Wasser lief ihr im Munde zusammen. Sie probierte das in einer unglaublich wohlschmeckenden Dillsoße marinierte und anschließend gebratene mürbe Hammelfleisch.
Erleichtert beobachtete Roland, daß sie mit Appetit aß. Doch sie war immer noch so blaß, daß er es mit der Angst zu tun bekam. Er hatte sie zwei Tage in Ruhe gelassen, und es war keine Besserung eingetreten. Sie war vielmehr in eine noch tiefere Depression gefallen und entfernte sich mehr und mehr von ihm. Die Hoffnung, sie würde wieder ihren alten Elan gewinnen, wenn er sie in Ruhe ließ, hatte getrogen. Jetzt mußte er sich intensiv um sie bemühen.
Sie kaute an einem Stück Weißbrot, und er bemerkte: »Alices Kochkünste zu genießen ist allemal besser, als zu sterben. Nur ein Feigling wählt den Ausweg des Todes. Der Tod löst keine Probleme. Man würde dich mit ihnen begraben. Doch die Überlebenden müßten sich weiter mit ihnen auseinandersetzen.«
»Deine Probleme kümmern mich nicht, Roland. Ich möchte nur, daß du mich in Ruhe läßt. Ich möchte, daß du dich darum bemühst, die Ehe für ungültig erklären zu lassen.«
»Es müßte dir klar sein, daß ich dir beide Wünsche nicht erfüllen kann. Du denkst doch nicht etwa wieder daran, ins Kloster zu gehen?
Daria schloß die Augen und ließ den Kopf aufs Kissen sinken. Sie war gesättigt, fühlte sich aber immer noch müde, im tiefsten Inneren müde. »Geh jetzt bitte!«
»Nein. Ich habe dich zwei Tage lang allein gelassen. Jetzt nicht mehr. Ich trage dich zu Graelam hinüber. Er will dich sehen. Er fühlt sich tief in deiner Schuld. Es liegt an dir, ihm darüber hinwegzuhelfen.«
»Er soll sich schuldig fühlen? Das ist Unsinn. Es war meine Entscheidung, seine Rettung zu versuchen. Er hatte gar nichts damit zu tun. Wenn sich jemand schuldig fühlen kann, bin ich es und kein anderer.«
»Das habe ich ihm auch gesagt, aber er nimmt es mir nicht ab. Mußt du austreten?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Gut. Dann nehme ich jetzt das Tablett weg.« Ihr Blick blieb leer und verloren. Aber er würde nicht locker lassen. Wenigstens
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