Die Stimme des Blutes
Treppe ankamen, schaute sie sich im großen Saal um. Viele Leute lagen schnarchend am Boden. Andere saßen noch an den Tischen, waren aber zusammengesackt, die Köpfe zwischen den Tellern auf den Tischplatten.
»Habt Ihr sie vergiftet? Müssen sie alle sterben?«
»Ich habe dem Bier nur ein Schlafpulver beigegeben. Nun schlafen sie wie unschuldige Säuglinge. Morgen werden sie mit Kopfschmerzen aufwachen, das ist alles.«
Einige waren noch wach. Aber sie warfen nur aus trüben Augen oberflächlich einen Blick auf den Priester und den schmutzigen Knaben, den er bei sich hatte. Ein Mann sprach ihn sogar an. »Pater«, sagte er mit schleppender Zunge, »segnet mich, denn ich habe zu viel getrunken und sehe lauter Schlangen. Die wollen mir Böses, Pater.«
»Gottes Segen mit dir, mein Sohn! Aber du hast es verdient, wenn die Schlangen dich beißen. Wenigstens bist du noch wach, während deine Freunde alle eingeschlafen sind.«
Stumm sackte der Kopf des Mannes auf den Tisch, und damit war der letzte im Raum eingeschlafen.
Doch draußen hielten sich noch viele auf, die hellwach waren. Roland ging langsamer, nickte den Männern, die ihm begegneten, zu und sprach einige Worte mit ihnen. Er ließ sich Zeit und schien die Ruhe selber. Mehrere Frauen sahen ihn mit unverhohlen einladenden Blicken an.
»Wohin geht Ihr, Pater?« fragte ihn der erste Stallknecht. Dabei schaute er neugierig auf den schmutzigen Knaben, der dem Priester folgte.
»Siehst du diesen kleinen Schwachkopf hier?« sagte Roland gelassen. »Es ist ein ganz böser Junge, den ich jetzt zu seinem Vater zurückbringen muß. Stell dir vor, er wollte ein Ritter werden! Es ist ein halber Waliser, und wenn er etwas sagt, kann ihn selbst der liebe Gott nicht verstehen. Kannst du dir vorstellen, daß der Graf diesen blöden Jungen als Knappen annimmt? Nein, jetzt geht er zu seinem Vater zurück und wird eine anständige Tracht Prügel erhalten.«
Der Stallknecht lachte. »Geschieht ihm ganz recht, diesem Wilden«, sagte er und trat in den Stall zurück. Roland machte Daria ein Zeichen stehenzubleiben und ging dann schnell ebenfalls in den Stall. Gleich darauf hörte sie ein leises Geräusch von dort: als sei jemand umgefallen. Dann erschien Roland wieder und sagte lächelnd: »Noch einer, der friedlich eingeschlummert ist. Bleibt hier und paßt gut auf!«
Er ging noch einmal hinein und kehrte diesmal mit einem Pferd am Zügel zurück. Es war kein besonders gutes Pferd, keinesfalls eines der stämmigen Kampfrosse. Mühelos schwang sich Roland auf den nackten Rücken des Pferdes und reichte ihr die Hand. »Kommt, wir müssen uns beeilen!«
Sie saß hinten auf und fragte sich staunend: Will er so einfach durch die großen Tore der Burg Tyberton hinausreiten? Genau das tat er, obwohl sechs Posten dort Wache hielten.
Ungerührt wandte Roland sich an den Torhüter. »Einen gesegneten Abend, mein guter Arthur. Der Graf hat mich beauftragt, diesen abgerissenen Dorflümmel zu seinem Vater in Chepstow zurückzubringen. Würdest du mir bitte das Tor öffnen?«
»Ach, Pater, wenn ich mir das Bürschlein ansehe, möchte ich meinen, daß er eine ordentliche Tracht Prügel kaum überleben wird. So ein schwächlicher Schmutzfink! Was hat er angestellt? Dem Grafen in den Wein gepinkelt?« Er lachte herzlich über seinen eigenen Witz.
»Er wollte die Gefangene des Grafen, das Mädchen Daria, befreien, weil er sich einbildete, sie würde sich dann aus Mitleid von ihm verführen lassen. Der Graf war gerade dabei, das Mädchen selber ins Bett zu nehmen. Ich hatte schon Angst, er würde den verkommenen Lümmel wegen seiner sündigen Gedanken umbringen.«
Arthur lachte. »Nun, dann macht Euch mal davon, Pater! Ich warte auf Eure Rückkehr. Vergeßt aber nicht, laut zu rufen, wenn Ihr Euch der Burg nähert! Sonst schießt Euch noch ein Krieger des Grafen einen Pfeil durchs Herz.«
»Danke, mein Freund. Ich werde mich beeilen. Seht zu, daß niemand heute nacht den Herrn stört!«
Arthur öffnete das Tor, wobei er erneut vor sich hinlachte. »Sie ist ein hübsches kleines Ding«, sagte er. »Ja, hübsch und zart wie ein junges Hühnchen. Der Graf wird sie mit größtem Vergnügen einreiten!« Das letzte, was Daria aus der Burg Tyberton hörte, war das anhaltende Lachen des Torhüters Arthur. Sie ritten unter dem Fallgitter hinweg und dann durch die mächtigen Eichentore. Mehrere Männer nickten ihnen zu, aber keiner sagte etwas oder versuchte sie anzuhalten. Es ging ganz leicht.
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