Die Stimme des Blutes
unerträglich.
Daria beobachtete ihn unter gesenkten Lidern, während sie so tat, als wäre sie einzig und allein mit seinem Waffenrock beschäftigt. Sie konnte ihm seine Verärgerung, seine schlechte Laune durchaus nachfühlen. Sie brauchte sich ja nur vorzustellen, wie ihr zumute wäre, wenn sie krank wäre und sich von ihm beim Verrichten der Notdurft helfen lassen müßte.
Sie war zutiefst dankbar, als der Arzt kam. Er untersuchte Roland, sprach im weichen Walisisch mit ihm und schien zufrieden. Einmal zeigte er dabei auf sie, aber Daria verstand weder seine Worte noch Rolands Antwort. Ein Kompliment hatte ihr Roland sicherlich nicht gemacht.
Dennoch war sie über die Verbesserung seines Zustands unendlich erleichtert. Als sich der Arzt schließlich an sie wandte, hörte sie ihm lächelnd zu.
»Dein Mann macht gute Fortschritte«, sagte der Alte. »Er hat mir gesagt, daß er schon morgen weiterreiten will, und ich habe ihm erklärt, wenn er das macht, wird er tot umfallen und dich der Gnade gesetzloser Schurken überlassen. Jetzt ist er dabei, sich die Sache zu überlegen.« Er warf ihr einen bedeutsamen Blick zu, und Daria beeilte sich, ihm Geld zu geben. Er dankte und verabschiedete sich.
»Du hast ihn mit meinem Geld bezahlt, stimmt's?«
»Es ging nicht anders. Ich habe ja keines.«
»Demnach hast du herausgefunden, wo ich es versteckt habe, und jetzt gehst du freizügig damit um?«
»Hätte ich mich vor dem Priester aufs Armenrecht berufen sollen? Vermutlich wären wir dann im Straßengraben gelandet. Was den Arzt betrifft, so habe ich ihn selbstverständlich für seine Dienste bezahlt. Allein dafür, daß er sich deine üble Laune gefallen lassen muß, hat er sich das Geld verdient.«
»Du hättest mich aber vorher fragen müssen.«
»Da hast du recht. Ich hätte dich irgendwie aus deiner Bewußtlosigkeit wachrütteln und untertänig um die Erlaubnis bitten sollen, von deinem Geld Gebrauch machen zu dürfen. Wirklich eine Schande, daß ich auch für Stall und Futter deines Pferdes Geld zahle. Wäre es dir lieber, ich hätte dem Priester gesagt, er solle Cantor wegjagen?«
»Du zankst mit mir wie ein altes Waschweib, Daria.«
»Du hast nur schlechte Laune, weil du es nicht erträgst, daß du, mein unerschütterlicher Befreier, auch nur ein schwacher Mensch bist. Du bist kein Gott, Roland. Du bist nur ein Mann.«
»Ach, das hast du bemerkt, ja?«
»Ja«, sagte sie. Wie sehr, wollte sie ihm nicht verraten. »Und jetzt mußt du dich in Geduld fassen, Mylord.«
»Das geht doch nicht! Was willst du denn tun, wenn der verfluchte Graf kommt? Ihm sagen, er solle sich in Geduld fassen, bis ich wieder gesund bin und dich vor ihm schützen kann?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich würde dich schützen.«
Er schnaufte. »Nein, hör auf damit! Bring mir etwas zum Essen! Ich muß wieder zu Kräften kommen.«
Ach, er war undankbar. Er war ein Tyrann. Er war nur wütend, weil er krank geworden war. Als ob sie schuld daran wäre! Männer waren schon schwierige Geschöpfe. »Gut. Bleib bitte liegen und ruh dich aus! Ich komme gleich wieder.« Sie fragte sich, wie sie so ruhig bleiben konnte. Immerhin warf sie die Zimmertür etwas lauter zu, als nötig gewesen wäre.
Romila sah ihre Miene und lachte. »Aha, dein netter Mann macht dich zornig, wie?«
»Ja. Ich könnte ihn erwürgen.«
»Kindchen, er ist eben ein Mann. Nicht mehr und nicht weniger. Gib ihm zu essen, und wenn er sich den Bauch vollgeschlagen hat, wird er sich wie ein Engel betragen.«
Wie ein Engel betrug sich Roland zwar nicht, nachdem er Romilas geschmortes Rindfleisch und das grobe Graubrot mit süßer Butter verzehrt hatte. Doch wenigstens hatte er sich weitgehend beruhigt.
»Wir reiten morgen weiter«, sagte er in selbstsicherem Ton.
»Nein.«
»Morgen nachmittag.«
»Nein.«
»Daria, du wirst tun, was ich dir sage. Ich bin zwar nicht dein Ehemann, aber ich habe hier zu bestimmen, weil ich für dich verantwortlich bin, und deshalb mußt du ...«
»Nein. Wir reiten erst weiter, wenn du gesund bist, vollständig gesund, und keinen Tag vorher. Ich habe deine Kleidungsstücke versteckt, Roland. Wenn du dich wie ein Halbirrer aufführen willst, mußt du eben nackt losreiten. Mir kannst du nicht drohen, und zwingen kannst du mich auch nicht.«
Er fluchte lange und fürchterlich. Doch Daria lächelte nur dazu. Er hatte den kürzeren gezogen. Als ihm die Flüche ausgingen, schlief er allmählich ein. Sie beugte sich über ihn und sagte
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