Die Stimme des Blutes
alles zu stecken, zu spionieren und Drohungen auszustoßen. Wäre ich stark genug und hielten alle Markgrafen zusammen, dann würden wir ihn in die Stadt zurückschicken, wo er haust, in dieses Sodom, diesen Sündenpfuhl London. Er soll uns vom Leibe bleiben. Diese Barbaren von Walisern halten wir schon allein in Schach und wahren den Frieden. Er aber würde selbst dem Teufel seine Seele verschreiben, wenn er mich dadurch entmachten könnte, mich und uns alle, die wir England vor den walisischen Wilden schützen.«
Daria kam eine Idee. Vielleicht konnte der König ihr helfen. Sie müßte zusehen, daß sie ihn unter vier Augen sprechen könnte. Dann würde sie ihn um Befreiung anflehen. Würde er ihr glauben? Und wenn er ihr Hilfe verweigerte, würde der Graf sie dann umbringen? Aber was machte das schon! Sobald der entdeckte, daß sie nicht mehr Jungfrau war, würde er es sowieso tun. Was sollte sie machen?
»Trink dein Wasser!« befahl der Graf.
Der König von England lehnte sich im Sessel zurück und blickte zu seinem ergebenen Sekretär Robert Burnell hinüber. Das Zelt bot ihnen Schutz vor der heißen Mittagssonne, und der König war in bester Laune. Er hatte Hereford einen höllischen Schrecken eingejagt, diesem verdammten treulosen Kerl.
Jetzt ging es nach Tyberton. Da würde er dem Grafen von Clare zeigen, wie er sich dem König gegenüber zu verhalten hatte.
Burnell entschuldigte sich. Er müsse sich draußen ein paar Minuten lang die Füße vertreten. Er hatte sich die Finger an den Warnbriefen des Königs krummgeschrieben, und ihm taten alle Muskeln weh.
Als er zurückkam, lag ein merkwürdiger Ausdruck auf seinem Gesicht. »Sire, draußen steht ein verkrüppelter alter Bettler und bittet, Euch sprechen zu dürfen. Er behauptet, er bringe Mitteilungen von höchster Wichtigkeit. Er ... scheint harmlos zu sein, Sire.«
Edward lachte. Er hatte gerade gut gespeist, und die beiden Kelche voll Süßwein hatten ihn in eine fröhliche Stimmung versetzt. Er beobachtete Burnell. Komisch, daß dieser nervenstarke Mann auf einmal so nervös und zappelig war. »Ein verkrüppelter Bettler sagt Ihr, Robbie? Ein alter verkrüppelter Bettler, dem das Almosen aus der Hand des einfachen Soldaten nicht genügt? Für den es gleich des Königs Münze sein muß? Für den Fall, daß ich ihm etwas schenke, hat er wohl versprochen, Euch die Hälfte abzugeben, wie?«
Burnell war erleichtert, daß der König es von der heiteren Seite nahm. Ja, Edward zeigte wieder einmal sein bezauberndes Wolfslächeln, das jeden, der in seinem Dienst stand, dazu brachte, freiwillig für ihn alles zu tun, was er verlangte.
»Ich setze voraus, daß es kein gewöhnlicher Bettler ist, für den Ihr Euch verwendet. Sondern einer, der des Königs Aufmerksamkeit verdient. Kurz gesagt, ein Bettler von königlicher Überzeugungskraft, ein Bettler, der... Ach, holt mir den Kerl rein, Robbie! Und ich kann nur hoffen, daß Ihr Euch nicht in ihm geirrt habt, sonst müßte ich nämlich den Inhalt Eures Tintenfasses über Euch ausgießen.«
Burnell verließ das Zelt, und gleich darauf schlurfte ein uralter Krüppel herein. Bei allen Heiligen, dachte der König, dieser elende Alte stinkt ja schlimmer als ein nasses Schaf! Zudem war er so klapprig, daß es aussah, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen und seinen Geist aufgeben.
Diese menschliche Ruine versuchte, eine tiefe Verbeugung vor dem König zu machen. Danach richtete der Bettler sich überraschend elastisch auf, ohne daß die alten Knochen und Gelenke knackten.
»Ich höre, daß du Geld vom König erflehst«, sagte Edward zu ihm.
Der Alte kicherte. »Nee, großzügiger Sire, ich wünsche vielmehr ein Weib, das mir das Bett wärmt, ein wunderhübsches Weib mit viel Busen und ...«
Der König starrte den Alten verwundert an.
»... ja, und vielleicht mit knackigen Pobacken. Ein Weib so weich wie ein Kaninchenbauch und mit einem tiefen Schacht für meine gewaltige Rute.«
Der König brach in Lachen aus. »Soll ich dir nicht vorher ein Weib schicken, das dich badet? Du stinkst nach Dreck und Kot. Wer bist du, Bettler? Nach deiner gediegenen frechen Sprache zu urteilen, kannst du nicht zum üblichen Gesindel gehören. Heraus mit der Sprache! Deine Kapriolen machen mich langsam ungeduldig.«
»Ungeduldig! Das seid Ihr doch immer, Sire. An Euch ist die schönste Geschichte verschwendet. Ich habe mir sagen lassen, daß selbst die fabelhaftesten Londoner Mimen in Tränen der Verzweiflung
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