Die Stimme des Blutes
Wolffeton von Henriettas Rücken heruntergeholfen, als ihr wieder heftig übel wurde. Sie hörte die tiefe Stimme eines Mannes und die viel höhere einer Frau, die beide freundliche Besorgnis ausdrückten.
Keine zehn Minuten später war Daria in einem geräumigen Zimmer mit einem weichen flandrischen Teppich untergebracht. Durch drei Fensterspalten strömte Licht herein. Das Bett, auf dem sie lag, war so weich, daß sie vor Entzücken einen Seufzer ausstieß.
Dann hörte sie, wie die Frau zu ihr sagte: »Wenn Euch wieder übel wird, der Nachttopf ist gleich hier. Roland hat mir gesagt, daß die Königin Euch einen Heiltrunk mitgegeben hat. Euer Gatte holt ihn gerade.«
Daria ging es wieder besser. Sie schlug die Augen auf und brachte ein Lächeln zustande.
»Ich heiße Kassia. Es freut mich, daß Roland geheiratet hat und daß ihr eine Zeitlang bei uns bleiben wollt. Und schwanger seid Ihr auch. Was für ein Glück! Mein Kind ist gerade einen Monat alt, heißt Harry, sieht dummerweise seinem kriegerischen Vater ähnlich und hat auch seinen dunklen Teint.«
»Es ist doch gut, wenn er seinem Vater ähnlich sieht«, sagte Daria. »Sein Vater wird sein Kind sehr lieben.«
Kassia de Moreton, Herrin auf Wolffeton, wunderte sich über diesen sonderbaren Ausspruch. Ihr Gast, die junge Frau mit dem blassen Gesicht, lag auf dem Rücken und schwieg jetzt. Kassia fürchtete, daß ihr wieder übel werden würde.
Daria hing nur trüben Gedanken nach. Sie hätte gern geweint. Doch Tränen führten zu nichts, änderten nichts und brachten keine Lösung.
»Möchtet Ihr vielleicht Warmbier, Daria?«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, bitte.«
Unten im großen Saal sagte Kassia de Moreton zu ihrem Mann: »Was hältst du von alldem, Mylord?«
»Du meinst Roland und seine junge Frau? Nun, ich würde sie gern sehen, wenn sie mal nicht grün im Gesicht ist und am ganzen Leibe zittert.«
»Sie ist schwanger.«
»Ja, das hat mir Roland schon gesagt. Aber er hat es mir auf eine höchst merkwürdige Art mitgeteilt.«
»Du meinst, daß er sich dabei nicht wie ein stolzer Pfau in die Brust geworfen hat?«
Graelam blieb nachdenklich. »Irgend etwas stimmt da nicht. Hättest du etwas dagegen, wenn das Mädchen hierbleibt, sobald Roland sich zu seiner Burg begibt?«
»Überhaupt nicht.«
Am späten Nachmittag verließ Daria ihr Zimmer und fühlte sich so wunderbar wie in dem Augenblick, da Roland ihr Ehemann geworden war. Sie war gerade auf dem Weg nach unten, als sie ihm auf der Wendeltreppe begegnete.
»Es geht mir gut«, sagte sie sofort. »Dieses dauernde Übelsein hat mich ganz fertiggemacht.«
Er trat auf dieselbe Stufe wie sie und drängte sie an die Steinwand. An seinem Körper spürte er ihre langen Beine, den weichen Leib und die Brüste. Unwillkürlich liebkoste er ihre Wange.
Daria konnte es nicht verhindern, sie begann zu zittern. Sie wünschte sich, er würde sie in die Arme schließen, sie küssen und ihr sagen, wie sehr sie ihm gefehlt hatte. »Roland!«
Doch Roland schwieg. Er wandte sich ab und ließ sie stehen. Über die Schulter sagte er noch: »Wenn du dich dazu aufgelegt fühlst, im großen Saal findest du etwas zu essen.«
Die Hauptmahlzeit des Tages wurde auf der Burg Wolffeton am späten Nachmittag aufgetragen. Es war Sommer, und draußen schien die Sonne. Überall im Saal hörte man Scherze, Lachen und Ausbrüche lauter Heiterkeit.
Daria saß neben ihrem Mann und nahm nur dann und wann einen Bissen zu sich. Es gab köstlichen Hering, aber sie aß lieber nichts davon, aus Angst, ihr würde wieder schlecht werden.
Sie hörte, wie Graelam mit Roland über den König und seine großartigen Pläne für den Bau von Burgen in Wales sprach. »Jetzt besucht er also die Markgrafen, ißt ihnen die Vorratslager leer und schätzt ihre Stärke ab.«
Kassia wandte sich an ihren weiblichen Gast. »Versucht doch mal etwas von dem weichen Brot in Milch!«
»Ich fühle mich heute so herrlich und möchte, daß es auch so bleibt.«
»Jetzt müßt ihr mir von Euren Abenteuern erzählen«, sagte Kassia munter. »Ich habe nur ein wenig davon mitgekriegt und möchte alles hören.«
Es wurde ein angenehmer Abend. Daria entspannte sich und konnte auch wieder lächeln. Schließlich erkundigte sich Roland: »Bist du müde? Möchtest du dich jetzt zurückziehen?«
Sie nickte, denn sie war wirklich müde geworden.
»Da es dir wieder gut geht,« sagte Roland zu ihr, »komme ich heute nacht zu dir. Halte dich für mich
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