Die Stimme des Blutes
abgestoßen. Mit langen Fingernägeln strich er ihr über den Hals. Sie hielt still und gab sich den Anschein größter Ruhe. Plötzlich schlossen sich seine Hände mit überraschender Kraft um ihren Hals. Der Schmerz ging ihr durch Mark und Bein.
»Heraus mit der Wahrheit, mein Täubchen, oder ich reiße dir die Zunge aus dem Hals!«
Hinter sich hörte sie Alan lachen. Die Übelkeit in ihrem Magen wurde stärker. Diesmal war der Brechreiz nicht mehr zu ersticken. Er ließ sie los. Sie warf den Kopf zurück, faßte sich an die Kehle und schnappte gurgelnd nach Luft.
Dann drehte sie sich ab, fiel hart auf die Knie und erbrach sich.
Der Dicke schaute auf sie hinab. Seine kalte Stimme klang angeekelt. »Wenn sie sich die Gedärme ausgekotzt hat, bringt sie ins Lager! Ich habe ihr noch einige Fragen zu stellen. Vielleicht haben wir mit ihr eine wertvolle Beute gemacht. Und du, Alan, du läßt sie in Ruhe, klar? Ich habe das Gefühl, daß ihr unverhofftes Erscheinen uns allen noch große Freude bereiten wird.« Er klopfte Daria auf die Schulter. »Kannst du mich hören, Mädchen? Dann merke dir, ich will die Wahrheit von dir hören! Sonst wird es in Zukunft äußerst unangenehm für dich werden.«
Sie blieb mit gesenktem Kopf auf den Knien hocken und wartete darauf, daß der Anfall vorüberging.
»Beeil dich!« sagte Alan und trat ihr gegen den Oberschenkel.
»Laß das sein, du scheußliche Bestie! Du hast gehört, was dein Herr zu dir gesagt hat!«
»Ha! Immer noch eine freche Zunge, wie?« Plötzlich packte er sie am Ellbogen und stellte sie mit einem Ruck auf die Beine, ging mit schnellen Schritten los und zerrte sie mit. Sie schwankte wie eine Betrunkene und hatte große Mühe, das Gleichgewicht zu halten.
Als sie im Lager ankamen, ließ Alan sie los.
»Ah, mein Täubchen, nimm Platz!« Vor ihr saß der dicke Master Giles auf einem feingeschnitzten Sessel. Es wirkte lächerlich, wie er so mitten im Wald vor einem Feuer zwischen den zerlumpten Männern und Frauen thronte.
»Wer bist du?«
»Ich? Nun, ich bin Master Giles Fountenont. Kein Grund, ein Geheimnis daraus zu machen. Ich bin in dieser Gegend gut bekannt. Du darfst in mir einen Mann von fürstlichem Geblüt sehen, einen Kaufmann, einen Mann von großen Talenten und Mitteln. Und dies sind meine Leute, die mir alle treu ergeben sind.« Er schnappte sich eine vorbeikommende Frau, zog sie auf seinen Schoß, gab ihr ein Stück der großen Hühnerkeule, an der er gerade knabberte, und schob sie wieder weg. »Los, bring der kleinen Dirne auch etwas zu essen! Sie soll hier nicht verhungern, ehe ich beschlossen habe, was wir mit ihr anstellen werden.«
Die Frau ging zu dem Kochtopf über dem Lagerfeuer. »Ja, mein Täubchen, ich bin unterwegs nach Truro, wo sich mein fürstlicher Haushalt befindet. Dies hier«, er deutete auf den Wald, »all dies ist nur mal eine angenehme Abwechslung für mich.«
Die Frau brachte Daria eine dicke, reichlich mit Honig bestrichene Scheibe Brot und einen Krug Bier. Daria nahm beides dankbar entgegen. Sie trank einen großen Schluck, und Master Giles sagte: »So, jetzt will ich die Wahrheit hören. Oder Alan zerfetzt dir dein hübsches Kleid und beschäftigt sich mit deinem sicherlich reizvollen Körper.«
Daria hatte keine Lust, noch nähere Bekanntschaft mit Alan zu schließen. Sie sagte: »Ich bin die Frau von Roland de Tournay. Er ist von Wolffeton aus zu seiner neuen Burg geritten. Mich hat er dort gelassen. Ich habe mich nach ihm gesehnt und wollte ihm nach. Das ist alles. Ich wäre dir sehr verbunden, Master Giles, wenn du mir helfen würdest. Die Burg meines Mannes heißt Thispen-Ladock.«
»Aha. Demnach will er Sir Thomas Ladocks Ländereien kaufen. Ich habe schon von deinem Mann gehört. Er ist ein tapferer Ritter und steht in der Huld des Königs. Das ist ja ein interessantes Märchen, das du mir da erzählst, mein Täubchen.«
»Das ist kein Märchen. Es ist die Wahrheit.«
Master Giles hatte keinen Augenblick daran gezweifelt. Er wußte nur noch nicht, wie er sich verhalten sollte. »Du sagst, du wärst einfach von Moreton losgeritten? Und ganz allein? Das war aber nicht sehr klug von dir.«
Daria aß noch ein Stück Honigbrot, überlegte kurz und sagte dann: »Mein Mann hatte angeordnet, ich sollte auf Wolffeton bleiben. Aber ich hatte solche Sehnsucht nach ihm. Ich mußte heimlich weg, ohne daß Lord Graelam etwas merkte.«
Master Giles ließ sich ein feuchtes Tuch reichen, um sich Gesicht und Hände
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