Die Stimme des Blutes
besser.«
Als Kassia die bestürzte Miene ihres Mannes sah, ließ sie alles stehen und liegen und begleitete Daria in ihr Zimmer. Unterwegs machte sie ihr zarte Vorwürfe. »Nun müßt Ihr mir aber sagen, was mit Euch los ist! Ich bringe es in Ordnung, wenn ich kann. Auch wenn mein Mann mich immer ermahnt, den Mund zu halten und mich nicht in die Probleme anderer Menschen einzumischen. Kommt, sagt mir alles, Daria!«
Aber Stolz und das Gefühl ihres Elends verschlossen Daria den Mund. Sie wäre am liebsten in dem Steinfußboden versunken. »Es ist nur das Kind«, sagte sie, »und weiter nichts.«
»Nun gut. Dann müßt Ihr Euch jetzt ausruhen. Später komme ich und bringe Euch süßes Weißbrot und Bier. Oder wenn Ihr Euch besser fühlt, könnt Ihr auch in den großen Saal kommen.«
Als Daria allein war, begab sie sich gehorsam ins Bett. Eigentlich war sie doch ans Alleinsein gewöhnt. Merkwürdig, daß sie dadurch weder Geduld noch Seelenruhe gewonnen hatte. Als sie sich endlich erhob, war es Abend geworden, und Kassia holte sie zum Essen ab.
In der Nacht faßte Daria einen Entschluß. Früh am nächsten Morgen sprach sie Lord Graelam an. »Mylord, ich möchte Euch um einen Gefallen bitten. Könntet Ihr mir einige Eurer Männer zur Verfügung stellen?«
Erstaunt sah Graelam die junge Frau an, die schmal und bleich, aber aufrecht und eigensinnig wie ein Maulesel vor ihm stand. »Ihr wollt wegreiten? Wohin?«
»Ich will mich zur Burg meines Mannes begeben. Mein Platz ist nicht hier bei Euch, wo Ihr mir aus Güte Obdach gewährt, sondern an seiner Seite. Er wird mich bei sich aufnehmen. Er muß es tun, denn er ist mein Mann. Darf ich mir einige Eurer Männer ausleihen?«
Welcher Mann konnte ihr diese Bitte abschlagen? Aber er hatte Roland versprochen, seiner Frau einen sicheren Aufenthalt zu gewähren. Obgleich die Gegend seines Wissens sicher war, durfte er sie nicht gehen lassen. Es wäre ein Vertrauensbruch gewesen. »Es tut mir sehr leid, aber das kann ich nicht machen. Ihr müßt auf Wolffeton bleiben, bis Roland zurückkommt.«
Falls er zurückkommt, dachte sie. Sie hatte nichts anderes von Graelam erwartet. Er war eben ein Ehrenmann - aber Ehre galt nur unter Männern und nicht einer Frau gegenüber.
Am frühen Nachmittag sprach sie Kassia an. »Ich möchte meiner Stute Henrietta etwas Bewegung verschaffen. Muß ich einen Stallburschen mitnehmen?«
Einen schrecklichen Augenblick lang befürchtete sie, Kassia würde sie begleiten wollen. Aber da kam wie gerufen das Kindermädchen mit dem laut schreienden Harry im Arm in den großen Saal.
Eine knappe Stunde später ritt Daria von Wolffeton ab. Zwei junge Stallburschen begleiteten sie. Sorgfältig achtete sie darauf, daß Graelam sie nicht wegreiten sah.
Die Sonne brannte heiß herab, aber das machte Daria nichts aus. Sie sagte den beiden Männern, sie wolle an der zerklüfteten Küste entlang nach Norden reiten. Sie waren sofort einverstanden.
Der eine beantwortete ihr auch bereitwillig ihre Fragen nach der Lage der Burg Thispen-Ladock. Bis dorthin waren es fünfzehn Meilen. Sie wußte nicht genau, wie lange sie dafür brauchen würde. Aber wichtiger war es zunächst, die beiden Männer Graelam de Moretons loszuwerden. Die Richtung kannte sie ja jetzt.
Nach zwei Stunden gebot Daria vor einem dichten, schier undurchdringlichen Eichenwald Halt. Hier bot sich ihr die beste Gelegenheit, ihren Begleitern zu entwischen. Mit beschämt niedergeschlagenen Augen und leichtem Erröten sagte sie ihnen, sie müsse mal für fünf Minuten im Wald verschwinden.
Sie konnten ihr ja nicht gut folgen, wenn sie angeblich ein Bedürfnis verrichten wollte. Daria dankte ihnen und saß ab. Henrietta am Zügel führend, ging sie etwa zwanzig Meter in den Wald hinein, bis sie nicht mehr zu sehen war und stieg dann wieder auf. Ein schmaler Weg führte quer durch den Wald.
Bald hörte Daria Schreie hinter sich, aber sie waren schon sehr weit entfernt. Dann wurde der Eichenbestand lichter. Nun würde Henrietta die Stallburschen leicht abhängen, falls die sie verfolgen sollten.
Sie ritt scharf eine weitere Stunde. Dann schnaubte ihr Pferd immer stärker, und sie mäßigte das Tempo. Die salzige Meeresluft umwehte erfrischend ihr Gesicht, und der Geruch nach Moos, Bäumen und Wasser erinnerte sie an Wales.
Zu ihrer Linken erblickte sie ein rohes Holzschild, auf dem in ungelenken Buchstaben stand: PERRANPORTH. Sie war schnell vorangekommen.
Um das kleine Fischerdorf zu
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