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Die Stimme des Blutes

Titel: Die Stimme des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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abzureiben. Er führte sich vor seinen zerlumpten Untertanen wie ein kleiner König auf. »Ich überlege mir noch, was ich mit dir anfangen werde, mein Täubchen. Roland de Tournay also. Ein Problem, das gründliches Nachdenken erfordert.«
    Eine Frau reichte Daria eine Decke und sagte ihr, sie solle sich näher ans Feuer setzen.
    Aber man ließ sie nicht lange in Ruhe. Wenig später kam Alan mit einem langen, dünnen Strick in der Hand. Er hockte sich neben sie, legte seine Hände auf ihre Schultern und drückte mit den Fingern zu. Dann warf er sie grob auf den Bauch, packte ihre Hände und zerrte sie ihr auf den Rücken. Sie merkte, daß er ihr mit dem Strick die Handgelenke fesselte, einmal, zweimal. Dann zog er den Strick fest an. Es tat weh, und sie begann laut zu stöhnen.
    »Es besteht kein Grund, sie zu quälen, Alan«, sagte eine Frauenstimme. »Du bist nur wütend, weil sie sich bei der Gefangennahme gewehrt hat.«
    Alan antwortete mit einer rüden Bemerkung und zog den Strick noch fester an. Dann entfernte er sich.
    Lange Zeit blieb Daria regungslos liegen. Schließlich wälzte sie sich auf die Seite, das Gesicht zum Feuer gewandt. Er hatte ihr die Decke nicht übergelegt, und ihr wurde kalt. Von den anderen Männern und Frauen sah und hörte sie nichts.
    Dann und wann nickte sie vor Erschöpfung ein. Die Angst lähmte ihren Geist. In den Armen hatte sie kaum noch Gefühl. Dann wieder starrte sie in die qualmende Asche. Sie hörte den Schrei einer Eule. Wie zur Antwort wieherte ein Pferd. Hoffentlich hatte man Henrietta mit Futter versorgt. Und hoffentlich hatte ihr Kind alles gut überstanden. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie schluckte. Sie hatte doch nur zu Roland reiten wollen, und jetzt war sie wieder gefangen.
    Was hatte sie nicht alles im letzten halben Jahr erlebt und erlitten! Dagegen waren ihre ersten siebzehn Lebensjahre trotz der kleinen Grausamkeiten ihres Onkels so gut wie ereignislos abgelaufen. Sie hatte stets gut gegessen, hatte hübsche Kleidungsstücke besessen, hatte Unterricht erhalten und in Frieden lernen können. Dann die Zeit beim Grafen von Clare, eine Zeit fortwährender heimlicher Angst. Und jetzt mußte sie wieder um ihr Leben fürchten. Und alles nur, weil sie sich kopflos aus der Geborgenheit Moretons entfernt hatte. Da mußte sie ausgerechnet dem dicken Master Giles in die Arme laufen, der ein Verbrecher war und sich wie ein königlicher Prinz aufführte!
    Die Nacht war stockdunkel. Wenn die leichte Brise die Blätter der Eichen rascheln ließ, zuckte sie jedesmal erschreckt zusammen.
    In der dunkelsten Stunde der Nacht, kurz vor der Morgendämmerung, war sie wieder hellwach. Die gefesselten Arme bereiteten ihr höllische Schmerzen. Sie tat sich so leid, daß sie gern geweint hätte. Sie hatte das sichere Wolffeton verlassen - und weshalb? Wegen eines dummen Mädchentraums, einer Einbildung, die nichts mit dem wirklichen Leben zu tun hatte. Das wirkliche Leben - das bedeutete, Gefangene des gehässigen Alan und des schrecklichen Master Giles zu sein.
    Plötzlich legte sich eine Männerhand auf ihren Mund, und ein warmer Atem streifte ihr Ohr. »Keine Bewegung! Ich bin gekommen, um Euch zu befreien. Gebt keinen Ton von Euch und macht keine unbedachte Bewegung! Habt Ihr verstanden?«
    Daria nickte, und die Männerhand gab ihren Mund frei. Daria blickte hoch. In der Hand des Fremden blinkte silbern eine Messerklinge. Gleich darauf schnitt er die Stricke um ihre Handgelenke auf. Sie war frei. Sie wollte die Arme heben, doch die Muskeln gehorchten ihr nicht.
    Der Mann hob sie hoch und legte sie sich über die Schulter. So trat er wie ein lautloser Schatten über die schlafenden Männer Master Giles hinweg. Und über einen Körper, der sich nie mehr rühren würde.
    Erst tief im Wald hielt er an, stellte Daria auf die Beine und lehnte sie an den Stamm einer Eiche. »So«, sagte er und tätschelte ihr die Wange. »Ihr müßt Zusehen, daß Ihr wieder Gefühl in den Armen bekommt. Bleibt hier, und verhaltet Euch ganz still! Ich habe noch eine Verabredung mit Master Giles. Es dauerte nicht lange.« Plötzlich fuhr er auf und drehte sich um. Dann sagte er ärgerlich: »Nein, verdammt noch mal, Philippa! Du bleibst bei ihr, verstanden? Bei allen Heiligen, ich hätte dich gar nicht mitnehmen sollen.«
    Auf einmal gaben Darias Beine nach. Sie hörte noch, wie der Mann etwas zu der Frau sagte. Dann schwanden ihr die Sinne.
    Wieviel Zeit mochte seitdem vergangen sein? Daria traute sich

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