Die Stimme des Daemons
wären die winzigen elektronischen Teile aus Blei.
Sam blickte sich um, und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Keinem der eiligen Passanten schien es aufzufallen. Sie hasteten vorbei, die Kragen hochgeschlagen, die Regenschirme in dem leichten Nieseln aufgespannt, während sie in einer Arbeitspause schnell eine Zigarette rauchten oder sich einen Hotdog von einem Stand an der Ecke holten.
Sam war praktisch unsichtbar für sie.
Sie leben!
Die Erkenntnis war so schwindelerregend, dass er weiche Knie bekam und sich ihm fast der Magen umdrehte. Er sank gegen das Gebäude, das Gesicht gegen die kühle graue Mauer gedrückt. Bevor er sich fangen konnte, gaben seine Knie unter ihm nach.
Der raue Beton kratzte an seiner Wange, während er versuchte, wieder Halt zu finden, doch seine Beine hatten keine Kraft mehr, und seine Füße rutschten unter ihm weg. Er landete hart auf dem Boden und lag ausgestreckt auf dem Bürgersteig.
Ein älteres Paar mit einem Partnerschirm trat auf die Straße hinunter, um an der reglosen Gestalt vorbeizukommen. Der Mann machte ein finsteres Gesicht, und die Frau gab einen entrüsteten Laut von sich.
Sam brach in ein kehliges Schluchzen aus, sein Brustkorb hob und senkte sich mit tiefen, zitternden Atemzügen. Niemand kam ihm zu Hilfe, und nach einigen Minuten fühlte er sich ausgepumpt und leer.
Sie leben!
Sam wischte sich die Nase am Ärmel ab und stemmte
sich erst einmal auf die Knie hoch. Neugierige Gesichter blickten rasch wieder weg. Niemand kam, um ihm aufzuhelfen. Angst oder Gleichgültigkeit hielt sie auf Distanz.
Als seine Oberschenkel endlich aufhörten zu zittern, griff Sam mit beiden Händen nach der Mauer und rappelte sich langsam hoch. Seine Beine waren immer noch wackelig, und seine blutige Wange brannte, aber er erkannte, dass es Zeit war, seinen Schmerz zu benutzen, anstatt unter ihm zusammenzubrechen.
Er stieß sich von der Mauer ab und begann zu gehen. Er hatte keinen Plan, und auch keinen Ort, wo er hinwollte, aber er hatte wieder einen Grund, um weiterzuleben.
Zack beobachtete Sam, wie er vom Justizgebäude wegtorkelte. Er fragte sich, ob der Mann betrunken oder einfach nur völlig erledigt war.
Es wäre beides nur allzu verständlich gewesen. Auch er hatte immer noch das starke Bedürfnis, zur Flasche zu greifen – und wenn er nicht gerade die letzte geleert hätte, dann würde er jetzt sicher schon wieder den einen oder anderen Schluck nehmen.
Als Sam um die Ecke bog, ordnete sich Zack mit seinem Mercedes in den Verkehr ein, um ihm zu folgen. Er fragte sich, ob die beiden Bullen, die er in dem Restaurant hatte sitzen lassen, nach ihm suchten, oder ob sie sich nicht weiter um ihn kümmerten. Er durfte sich jetzt auf keinen Fall festnehmen lassen, nicht jetzt, wo das Leben seiner Familie auf dem Spiel stand. Doch er konnte es sich auch nicht leisten, seinen Wagen irgendwo
stehen zu lassen, um besser untertauchen zu können. In diesem Auto war alles, was er noch hatte.
Zack griff nach dem Handy und drückte die programmierte Kurzwahltaste, um seinen Bericht durchzugeben.
18
Sam stieg in einen Bus ein und fragte den Fahrer, wie er zu seinem Haus komme. Der Fahrer erklärte ihm, dass er die Wahl habe, ein Taxi zu nehmen oder mit diesem Bus bis zum Depot zu fahren und dort umzusteigen.
Sam kramte ein paar Münzen hervor, um für die Fahrt zu bezahlen, und setzte sich auf die Sitzbank bei der Tür, die für Ältere und Behinderte reserviert war.
Heute fühlte er sich zu beiden Gruppen zugehörig.
Als der Bus das Stadtzentrum verließ und nach Osten fuhr, sahen die Häuser und die Passanten zunehmend trister aus. Einen Block weiter vorne sah Sam das blaue Neonschild eines Motels, und während er auf das Schild starrte, spürte er, wie ihn eine tiefe Müdigkeit überkam.
Sam zog an der Klingelschnur über seinem Sitz, um dem Fahrer zu signalisieren, dass er aussteigen wollte.
»Wir sind noch nicht beim Depot, Kumpel«, sagte der Fahrer.
»Macht nichts.«
Sam rappelte sich auf die Beine und stellte sich zur Tür. Als der Bus anhielt, stieg er aus, sah sich kurz um und ging dann zum Motel.
Derselbe silberne Mercedes, den er vor dem Justizgebäude gesehen hatte, stand mit laufendem Motor einen halben Block entfernt.
Der Rezeptionist im Bluesman Motel freute sich, einen Tagesgast zu haben, bis Sam ihm erklärte, dass er ohne Gepäck und ohne Wagen gekommen war.
»Ich will keinen Ärger«, sagte der Mann mit ausgeprägtem pakistanischem Akzent.
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