Die Stimme des Daemons
eine plötzlich aufkommende Wut brachte ihre blassgrünen Augen zum Glühen. Sie schraubte die Flasche auf, nahm einen kräftigen Schluck Wasser, um erst einmal ihren Durst zu stillen, und sprang dann unerwartet hoch.
Bevor der Mann reagieren konnte, öffnete MaryAnn den Mund und schrie mit der ganzen Kraft ihrer Lunge. Der Mann schreckte hoch und stieß mit dem Kopf gegen die niedrige Decke.
Er stieß einen grunzenden Laut hervor, während getrockneter Lehm um ihn herum zu Boden regnete.
MaryAnn zögerte keinen Augenblick. Sie lief auf das Licht zu und durch die Tür hinaus auf einen schmalen,
schwach beleuchteten Gang. Der Boden bestand auch hier aus gestampftem Lehm und einzelnen Holzbrettern; die Wände waren rissig und bröckelig, so als könnten sie jeden Moment einstürzen. Etwas Licht kam von ein paar Glühbirnen an der Decke.
MaryAnn folgte den Lichtern und lief noch schneller, als sie die wütenden Rufe hinter sich hörte.
Mit Tränen in den Augen rannte sie durch den endlosen Tunnel, und ihr Zorn wich rasch einer tiefen Verzweiflung.
»Mom!«, rief sie laut. »Mom!«
Ein Geräusch weiter vorne ließ sie fast stolpern: ein Schluchzen.
»MOM!«
MaryAnn lief zu einer Reihe von Zellen, die genauso aussahen wie die, aus der sie geflohen war. Zwei der Zellen waren offen und leer, doch die nächsten vier waren verschlossen.
MaryAnn blieb bei der ersten verschlossenen Zelle stehen und bemühte sich verzweifelt, ruhiger zu atmen, während sie angestrengt lauschte. Das Schluchzen kam von da drinnen.
»Mom?«, rief MaryAnn. »Mom, bist du da drin?«
Die Frau in der Zelle wimmerte, und ihr Schluchzen wurde lauter. MaryAnn griff nach dem quadratischen Fenster in der Tür und versuchte verzweifelt, den Riegel zurückzuschieben, der jahrzehntelang nicht mehr geölt worden war.
Aber bevor sie das Fenster öffnen konnte, wurde sie von einer mächtigen Faust an den Haaren gepackt und vom Boden hochgerissen.
»Du kleines Miststück!«
MaryAnn war wie erstarrt vor Schmerz. Es fühlte sich an, als würde man ihr die ganze Kopfhaut herunterreißen.
»Ich wollte nett zu dir sein.«
MaryAnn versuchte etwas zu sagen, ihn zu bitten, dass sie ihre Mutter sehen durfte, doch der Schmerz war so entsetzlich, dass sie die Lippen nicht bewegen konnte.
»Steck sie in Zelle drei«, sagte eine andere Stimme. »Vielleicht beruhigt sie sich, wenn sie Gesellschaft hat.«
MaryAnn versuchte das Gesicht des zweiten Mannes zu erkennen, doch die Tränen, die ihr der Schmerz in die Augen trieb, trübten ihren Blick.
Der bullige Mann hob sie noch höher und beugte sich an ihr Ohr. Sein Gesicht war gerötet und glänzte vom Schweiß.
»Du hast gerade einen Freund verloren«, flüsterte er drohend. »Das war dumm von dir.«
MaryAnn wimmerte, bis sie schließlich, von Schmerz und Angst überwältigt, ohnmächtig wurde.
22
Hinter einer Gruppe von drei Männern, die vor ihm um die Ecke kamen, näherte sich Sam dem Mercedes. Falls der Fahrer einmal den Blick von dem Motel abwenden sollte, würde er nicht gesehen werden. Als er auf der Höhe des Autos war, kam Sam rasch hinter den drei Fußgängern hervor und griff nach der Beifahrertür. Sie war nicht verschlossen.
Als der Fahrer ihn bemerkte, war es schon zu spät. Sam hatte ihm bereits das Messer an die Kehle gesetzt und die Autotür geschlossen, um sich vor neugierigen Blicken zu schützen.
Der Mann stieß einen kurzen Schrei aus und prallte mit dem Kopf gegen das Seitenfenster, als er ruckartig vor dem Messer zurückwich. Sam folgte ihm mit dem Messer und drückte ihm die scharfe Klinge so fest gegen den Hals, dass etwas Blut hervortrat.
»Ich bin auf Ihrer Seite«, rief der Mann. »Ich will Ihnen helfen.«
»Wo ist meine Familie?«, fragte Sam mit einer Stimme, die schärfer war als die Messerklinge.
»Ich weiß es nicht. Ich schwöre es.«
Sam drückte mit dem Messer noch fester zu und vergrößerte die Schnittwunde am Hals des Mannes.
»Ich sage die Wahrheit«, versicherte der Mann. »Mein Name ist Zack Parker; meine Familie wurde entführt.«
»Unsinn!«
»Ich wünschte, es wäre Unsinn«, stöhnte Zack. »Bei Gott, ich wünschte, es wäre so.«
»Sie waren vor meinem Haus, als es explodierte.«
»Ja.«
»Warum?«
»Er hat gesagt, dass meine Familie dort ist.«
»In meinem Haus?«
»Ja.«
»Wer hat das gesagt?«
»Der Entführer. Ich weiß nicht, wer er ist.«
Sam knurrte und fletschte die Zähne wie ein Wolf.
»Ich schwöre es Ihnen«, beteuerte Zack.
Weitere Kostenlose Bücher