Die Stimme des Daemons
langen schmalen Gang getrennt – ein Niemandsland, das die Grenze zwischen Sportlern und Theaterleuten bildete.
»Es war alles ziemlich einfach«, erinnerte sich Sam.
Zack warf ihm einen frustrierten Blick zu.
»Nein, warte, das ist interessant für uns«, fuhr er fort. »Die Sportler hatten die Turnhalle, die Nerds und Wissenschafts-Freaks die Bibliothek, und die Außenseiter und Mauerblümchen hatten den Speisesaal; die Schickimickis nahmen die Hintertür, um mit Dads Auto anzugeben, die Bastler und Mechaniker-Typen nahmen die Westtüren bei den Geschäften, und die Theaterleute hatten die Bühne.«
»Willst du damit sagen, es wusste jeder, wo er seinen Platz hatte?«, fragte Zack.
»Jeder wusste, wo er sich am wohlsten fühlte«, meinte Sam. »Probleme gab es nur, wenn sich die Cliquen zwangsläufig auf den Gängen trafen, dann gingen Ironman und seine Leute auf die Nerds los, oder wer ihnen gerade unterkam. Aber dort, wo wir unter unseresgleichen waren, gab es überhaupt keine Probleme.«
»Das klingt nach strikter Gruppentrennung«, meinte Zack missbilligend.
»Du hast recht«, pflichtete Sam ihm bei, »und vielleicht ist es auch nicht in Ordnung, aber ich fühle mich nirgends so akzeptiert wie unter anderen Schauspielern und Leuten, die gern Filme machen. Dabei spielen Dinge wie Geschlecht, Religion oder Hautfarbe keine Rolle – es geht nur um die Geisteshaltung, um die
Denkart. Und du kannst mir nicht erzählen, dass es den Sportlern und Nerds nicht genauso geht.«
Zack runzelte die Stirn. »Willst du damit sagen, dass es das ist, was mit unserem Entführer nicht stimmt?«
»Genau. Er gehört nicht dazu.«
Zack nickte bedächtig und spann den Gedanken noch etwas weiter. »Er gehört überhaupt nirgends dazu. Vielleicht hat er alle Gruppen ausprobiert – die Wissenschaftler, die Schauspieler, die Sportler.«
»Und nirgends haben sie ihn akzeptiert«, fügte Sam hinzu.
»Aber sicher nicht bewusst«, fuhr Zack fort. »Wir waren einfach nur wir selbst, und er war eher am Rand und hat nie richtig Anschluss gefunden.«
»Und er gibt uns die Schuld daran.«
»Ja. Es hat fast fünfundzwanzig Jahre gedauert, aber irgendwie ist er zur Überzeugung gekommen, dass alles, was in seinem Leben schiefgelaufen ist, damals begonnen hat. Bei uns in der Schule.«
»Großer Gott! Meine Familie muss büßen für … was eigentlich? Für einen Moment der Selbstsüchtigkeit, als ich siebzehn Jahre alt war. Wer ist in dem Alter nicht egoistisch?«
»Wir waren die Chefs«, sagte Zack. »Wir waren die Götter.«
Sam überdachte die Theorie, während sie die Eingangshalle in Richtung Direktion durchquerten, doch der Gedanke erschien ihm nicht wirklich schlüssig.
»Das ist Scheiße«, meinte er schließlich. »Je länger ich darüber nachdenke, desto absurder klingt es für mich. Wie kann uns jemand als Götter ansehen?«
»Hast du nicht gesagt, Davey hat es getan?«, erinnerte Zack.
»Davey ist doch total am Arsch. Er war seit seinem neunzehnten Lebensjahr nur im Gefängnis oder auf der Straße. Er hatte nie eine Chance, seinen eigenen Weg zu finden.«
»Ich sage ja nicht, dass es völlig logisch klingt, Sam. Aber in dieser kleinen Welt für sich ragten Leute wie du und Ironman einfach heraus. Die Leute sahen zu euch auf. Verdammt, ihr wart richtige Idole für die anderen. Kannst du dir nicht vorstellen, wie es für jemanden ausgesehen haben muss, den kein Mensch beachtet hat?«
»Aber das ist alles so verdammt lang her«, erwiderte Sam leise.
»Vielleicht nicht für jeden.«
63
Sam und Zack traten an den altgedienten, mit Schrammen und Kratzern übersäten hüfthohen Tresen, der eine Art Barriere zwischen Schülern und Direktion darstellte.
Eine Frau in einem geblümten Kleid stand von ihrem Schreibtisch auf und kam ihnen entgegen. Ihr Haar war
zu einem so strengen Knoten gebunden, dass ihr ganzes Gesicht zum Zerreißen gespannt schien.
»Die Schulleiterin ist nicht im Haus«, sagte sie in säuerlichem Ton. »Sie dürfte erst wieder in einigen Stunden da sein.«
»Das macht nichts«, antwortete Sam mit einer Stimme so angenehm und glatt wie in einem Werbespot. »Ich bin sicher, Sie können uns auch helfen. Wir brauchen eine Information.«
»Was für eine Information?«
»Wir müssen einige Jahrbücher aus den frühen Achtzigerjahren durchsehen.«
Sie musterte die beiden Männer einen Moment lang, als wollte sie ihren Charakter beurteilen. »In der Bibliothek haben sie vielleicht welche, aber es
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