Die Stimme des Feuers
lange wirst du fort sein?«
»Eine Woche. Vielleicht länger. Wenn de Cercy sich so töricht benommen hat, wie ich annehme, wird er als Burgvogt von Crandall einem anderen Mann Platz machen müssen.«
»Kann ich mitkommen, Graelam? Ich kann auch dort für dich sorgen, du wirst es sehen! Ich werde nicht so leicht müde, und ich falle dir bestimmt nicht zur Last. Ich kann für dich kochen ...«
»Still, Kassia«, sagte er und zog sie an die Brust. »Ich denke nicht daran, dich irgendeiner Gefahr auszusetzen.« Sie klammerte sich an ihn, als wolle sie ein Teil von ihm werden, und sein Beschützerinstinkt wurde so stark, daß er zitterte.
»Du ... du wirst mir sehr fehlen«, sagte sie schluchzend.
Er zog sie an sich. »Ich reite erst morgen«, sagte er.
»Ihr seht aus wie ein verirrtes Lämmchen«, schalt Etta. »Das ist doch kein Benehmen, Kindchen! Was würde Euer Lord sagen, wenn er Euch so blaß und schweigsam herumwandern sähe?«
»Jetzt ist er schon vier Tage fort!« jammerte Kassia. »Und ich habe nichts von ihm gehört! Nichts! Dabei hat er versprochen, mir Botschaften zu schicken.«
»Aha«, stellte Etta sachlich fest. »Es ist passiert.« Abrupt hörte Kassia auf, hin und her zu gehen, und wirbelte herum. »Was ist passiert?«
»Ihr liebt Euren Mann«, sagte Etta ruhig.
»Nein! Das heißt, es ist so ...«
»Ihr liebt Euren Mann bis zum Wahnsinn«, beharrte Etta. Zu ihrer Überraschung sah Kassia sie leeren Blicks an, machte auf dem Hacken kehrt, ging in den Stall und bat Bernard, Bluebell für sie zu satteln. Als sie die Stute in den Burghof führte, trat Sir Walter auf sie zu. »Ihr wollt ausreiten, Mylady?«
»Wie Ihr seht.«
»Lord Graelam hat mir aufgetragen, nicht von Eurer Seite zu weichen, wenn Ihr die Burg verlaßt.«
Warum hatte Graelam Sir Walter auf Wolffeton gelassen und Rolfe mit nach Crandall genommen? Wollte er den Mann im Kampf nicht neben sich haben? Es verlangte sie danach, allein zu sein, aber es sah so aus, als müsse sie Sir Walters Gesellschaft ertragen.
Sie trieb Bluebell zum Galopp an. Sir Walter und drei Männer folgten ihr. An dem einsamen Strand stieg sie ab und schaute auf die Brandung hinaus. Im Norden türmte sich ein sommerliches Unwetter auf. Heute nacht würde es bei ihnen toben. Schaudernd dachte sie daran, daß sie dann allein im Bett liegen würde.
»Wenn Euch kalt ist, Mylady, sollten wir vielleicht nach Wolffeton zurückreiten.«
»Nein, ich möchte mir gerne noch eine Zeitlang die Beine vertreten.«
»Wie Ihr wünscht«, sagte er und bot ihr seinen Arm an. Sie sah darüber hinweg und ging zum Klippenrand.
»Vermißt Ihr den Lord, Mylady?«
Sein spöttischer Ton ließ sie erstarren. Es juckte ihr in der Hand, ihm ins Gesicht zu schlagen. Doch sie sagte nur: »Meine Gefühle gehen Euch nichts an, Sir Walter.«
»Vielleicht nicht, Mylady, aber ich habe von Eurem ... mißglückten Abenteuer gehört. Vielleicht habt Ihr Eure Flucht nicht gut genug vorbereitet.«
»Ich will jetzt nach Wolffeton zurück«, sagte Kassia und entfernte sich rasch von ihm.
Sir Walter hätte der stolzen Lady gern den Hals langgezogen. Dieses kleine Biest behandelte ihn, als wäre er ein ekliger Wurm! Er würde es ihr bald zeigen...
Aufgeregt sah Kassia durch eine Schießscharte auf den Zinnen der äußeren Ostmauer, wie sich Reiter der Burg näherten. An ihrer Spitze erkannte sie Sir Walter. Er hatte gestern erklärt, ein außenliegender Pachthof wäre angegriffen worden, und er müsse dort Ordnung schaffen. Sie fragte sich, wo er wirklich hingeritten und was er dort gemacht hatte.
Ein Mann saß zusammengesunken im Sattel, als sei er verwundet. Drei Männer waren offenbar tot. Man hatte sie wie Mehlsäcke auf die Pferderücken geworfen. Beim Näherkommen sah sie, daß der
Verwundete mit dicken Stricken gefesselt war. Das breite Grinsen Sir Walters ließ Kassia nichts Gutes ahnen.
Jetzt zerrte er den Verwundeten vom Pferd. Der Mann schwankte, ehe er sicher auf dem Boden stand. »Seht ihn euch an!« rief Sir Walter den umstehenden Männern zu. »Wir haben guten Fang gemacht!« Er zog dem Mann die Kapuze vom Kopf. »Dienwald de Fortenberry, Verbrecher, Mörder und ... Frauenentführer!«
Kassia durchrieselte es kalt. Es war Edmund! Dann sah sie, wie Sir Walter ausholte und Dienwald die Faust in die Rippen schmetterte.
»Halt, Sir Walter!« schrie sie.
»Mylady«, sagte er mit tiefer Verbeugung. Die Ironie in seiner Stimme war für niemanden zu überhören.
»Ist es
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