Die Stimme des Nichts
wohlauf waren.
Es gelang ihm, sie aufzuspüren und in einer (für nurische Maßstäbe) berüchtigten Spielautomatenkneipe zu stellen, wo sie nach Auskunft regelmäßig zu finden seien. Dort saßen sie, sichtlich unbeschadet in einer hinteren Nische und schluckten ausgefallene Mixgetränke, die sie mit seinem Geld bezahlten. Vielleicht sollte er sich vorsichtiger nähern oder sie versöhnlicher ansprechen, doch er war wütend.
»Sie haben ihn auseinandergenommen, ja? Ihn richtig durchgeprügelt? Womit? Mit einem Kissen?«
Raubvogelgesicht schwenkte sein schmales, beutegieriges Gesicht herum, um Ormann anzusehen. Es schien, als wäre der Profikiller angenehm berauscht. »Hallo, Bill.« Er deutete auf den Platz gegenüber. »Willst du dich nicht zu uns setzen?«
»Ich möchte die Erklärung lieber im Stehen hören, danke.«
»Du bist viel zu angespannt, Bill«, nuschelte der Muskelberg fürsorglich. »Du solltest mehr aus dir rauskommen, Spaß haben.« Dann tat er etwas, das Ormann schockierte, noch mehr als die Nachricht, dass seine rothaarige Nemesis noch am Leben war. Der Muskelberg kicherte.
Raubvogelgesicht tätschelte mit einer tödlichen Hand mit Sehnen aus Stahl seinem wuchtigen Begleiter sanft die Wange. »Na, na, Emunde, nicht den armen Mann quälen. Er schiebt zu viel Frust.«
Ormann schluckte. Schwer. »Sie haben nicht erledigt, wofür Sie bezahlt wurden. Es scheint, als hätten Sie den Jungen nicht einmal angefasst. Was ist passiert? Es lag an der fliegenden Schlange, nicht wahr? Sie hat Sie vertrieben. Oder vielmehr in die Flucht geschlagen«, fügte er, alle Vorsicht beiseitelassend, hinzu.
»Wir konnten dem netten jungen Mann nichts tun.« Muskelberg schob seine dicke Unterlippe vor. Fast sah er aus, als würde er anfangen zu weinen. »Ich fühle mich schlecht genug, weil ich ihn quer durch die Stadt geschleift hab. Wir haben ihn und sein Tierchen aber an einem hübschen Plätzchen ausgesetzt. Es geht ihm bestimmt gut.«
»Oh, es geht ihm bestens«, presste Ormann hervor. »Wirklich prima.« Er sah von einem gutgelaunten Killer zum anderen. »Was ist los? Was hat er Ihnen getan?«
»Getan?«, wiederholte Raubvogelgesicht, und einen Moment lang kehrte ein Anflug des einst mörderischen Charakters in seine Miene zurück. »Na, er hat gar nichts getan, Bill.« Er sah selig aus. »Emunde und ich haben plötzlich begriffen, dass wir unser Leben verschwenden mit dem, was wir tun, dass wir den Leuten nichts mehr antun wollen und dass wir so viele Freuden des Lebens verpassen. Und keine Sorge – wir werden das Honorar zurückzahlen.« Er hob sein Glas. »Sicher, dass du nichts mit uns trinken willst?«
Mit diesen zwei Männern stimmte etwas nicht. Ihnen musste etwas Seltsames zugestoßen sein. Und unerklärlicherweise durch Claritys Freund. So musste es sein. Männer wie diese beiden wurden nicht plötzlich über Nacht zu albernen Jammerlappen. Er musste sich korrigieren. Es war ihnen nichts zugestoßen. Ihnen war etwas angetan worden.
Aber was? Es war unbegreiflich. Es war noch unbegreiflicher als die Anziehung, die Clarity bei diesem Mann empfand, der jün ger war als sie und den sie sechs Jahre lang nicht gesehen hatte.
Die Wunderlichkeiten des Abends waren noch nicht vorbei. Raubvogelgesicht hob sein Glas. »Sei guter Laune, Bill Ormann. Wir schicken dir ‘ne Einladung zur Hochzeit.« Und dabei legte er Muskelberg den Arm um die Taille, soweit es sich bewerkstelligen ließ, und drückte ihn zärtlich.
Ormann stolperte aus der Spielhölle, ohne noch etwas wahrzunehmen, weder die taumelnden Softiques noch ihre menschlichen Kontrahenten, nicht die kreiselnden, silberäugigen Ecdynasten, die mit ihrer unnatürlichen, virtuellen Aufmachung prahlten, noch die Bürger, die sie ausgiebig begafften.
Draußen riss ihn die kalte Nachtluft ein wenig aus seiner Benommenheit. Auf dem Weg zum Transporter dachte er über den nächsten Schritt nach. In Philip Lynx hatte er offensichtlich einen raffinierteren und gefährlicheren Gegner, als er geglaubt hatte. Ehe er sich eine Methode ausdenken konnte, wie mit ihm fertig zu werden war, musste er Genaueres über ihn in Erfahrung bringen. Wie sollte er sich dieses Wissen beschaffen?
Er könnte versuchen, es aus Clarity herauszubringen. Doch verschwiegen, wie sie war, was die Herkunft des jungen Mannes anging, konnte er sich nicht vorstellen, dass freundliches Nachfragen zu ausreichenden Informationen führen würde. Er könnte sie gewaltsam aus ihr herausholen.
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