Die Stimme des Nichts
Würden sie Flinx so lange am Leben lassen, dass er wieder zu sich kommen und sein einzigartiges Talent ins Spiel bringen konnte? Laut sagte sie: »Das kommt nicht von mir. Ich habe ihn nicht einmal angefasst.«
»Das glaube ich ja. Aber, Schätzchen, er hat Sie angefasst.«
Natürlich. Um sie auf dem Sofa aufzurichten. Um ihr die Fesseln abzunehmen. Um ihr beim Aufstehen zu helfen. Das hieß, dass sie die Chemikalie an sich hatte. »Warum bin ich dann noch bei Bewusstsein?«
»Wie gesagt, Mr. Ormann hat das Zeug entwickelt. Hat die Molekularstruktur verändert.« Ihr Grinsen zeigte sich wieder. »Einen spezifischen Vektor erzeugt, könnte man sagen.« Ein weiteres Mal strich sie mit dem Finger über Claritys nackte Haut, nur diesmal nicht am Arm. »Sie sind die Einzige hier, der das Zeug nichts ausmacht. Was glauben Sie, warum es in dem kleinen Zimmer, in dem Sie gefangen gehalten wurden, so heiß war?« Sie sah ihrer Gefangenen gierig ins Gesicht und weidete sich an der Verletztheit und Verunsicherung, die sie darin las.
Damit ich schwitze, begriff Clarity. Der Wirkstoff, der Flinx betäubt hatte, war die ganze Zeit auf ihrer Haut gewesen. Ihr Schweiß hatte ihn aktiviert und als Überträger gedient. Getrieben von seiner bösartigen Besessenheit hatte Bill Ormann an alles gedacht.
Und Flinx hatte leider keine Handschuhe getragen.
Die schweren Schutzanzüge, die ihre Entführer vor dem Gift der Minidrachen bewahrten, hatten ihnen auch ermöglicht, Clarity anzufassen, ohne mit dem Stoff in Berührung zu kommen, den Ormann ihr heimlich in die Haut gerieben hatte. Danach hatte es ihren ganzen Körper passiert, um schließlich auszutreten und gefährlich zu werden, sobald sie zu schwitzen anfing. So hatte er sie, von der Flinx am wenigstens glaubte, sie könnte eine Bedrohung für ihn werden, auf heimtückische und raffinierte Weise zum Instrument von Flinx’ Untergang gemacht. Jetzt erinnerte sie sich: Bill hatte sie niedergeschlagen und gefesselt.
Es hatte sie nicht stutzig gemacht, war ihr nicht wesentlich erschienen. Warum auch? Nur weil er die ganze Zeit, die er mit ihr zugange war, Handschuhe getragen hatte?
»Erstklassig, nicht? Sie brauchten gar nichts zu tun. Wir brauchten nichts zu tun. Es war bloß erforderlich, dass Ihr Freund Sie anfasst, und dass er das gleich bei der ersten Gelegenheit tun würde, ohne groß darüber nachzudenken, da war sich unser Freund Ormann völlig sicher.« Der Tonfall der Frau zeugte von stiller Bewunderung für die angewandte Methode.
»Er hat mir und den Jungs versprochen, uns in Zukunft auszuhelfen, falls wir das Gelände noch mal beim Auftrag eines anderen Kunden brauchen. Der Beginn einer fruchtbaren Geschäftsbeziehung. Und Sie werden das alles miterleben. Offenbar will er nicht, dass Ihnen ein Haar gekrümmt wird.« Der behandschuhte Finger zog ein weiteres Muster. »Ich sehe auch, warum.«
Wegen der Fesseln konnte Clarity der zudringlichen Liebkosung nicht ausweichen. »Was ist mit Lynx? Was werden Sie mit ihm tun?« Sowenig sie die Antwort hören wollte, sie musste doch danach fragen.
Die Fremde drehte den Kopf der langbeinigen Gestalt auf der Couch zu. Flinx lag verschnürt wie eine Mumie reglos da, sein Gesicht war nicht zu sehen. Zum ersten Mal erlebte Clarity ihn vollkommen hilflos.
»Ormann hat uns gesagt, wenn wir hier sind, sollen wir nach weiteren Anweisungen fragen. Danke, dass Sie mich daran erinnern.«
Die letzte Bemerkung war unnötig gewesen, das war Clarity vollkommen klar. Die Frau hätte es nicht vergessen. Es war einfach nur eine sadistische Stichelei, um sie in die Unterhaltung einzuflechten. Clarity sah zu, wie die Frau kurz mit ihren Komplizen sprach und dann ein Komgerät herauszog.
Ihr und Flinx blieben keine vier Stunden Spielraum, so viel stand schon mal fest. Ihnen blieb vielleicht gar keine Zeit mehr.
Wach auf, Flinx!, dachte sie wütend. Wach auf! Kannst du meine Angst nicht spüren? Du musst aufwachen.
Der Bewusstlose auf der Couch rührte sich nicht. Pip und Scrap wurden in ihrem minidrachensicheren Behälter immer aufgeregter. Spürten sie schon, dass gleich etwas passieren würde, und reagierten so heftig, weil sie nichts dagegen tun konnten? Würden sie und Flinx wenigstens noch eine Stunde haben?
Er mochte träumen, er mochte reisen, doch ihre Emotionen empfing er eindeutig nicht. Sie brauchte sie gar nicht erst zu übertreiben, damit Flinx vielleicht wieder zu sich käme.
Sie hatte wirklich eine
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