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Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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nicht in der Firma anrufen und Bescheid sagen, daß du später kommst?«
    Sie sah ihr Spiegelbild ausdruckslos an und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.« Sie schloß die Augen und sprühte sich etwas ins Gesicht, das ihre Hautfarbe dunkler machte und ihren Zügen etwas Gelöstes gab, so daß ihr Gesicht nicht mehr wie ein weißer Klecks wirkte. Sie wartete, bis das Spray trocknete, und begann sich dann die Wangen mit etwas einzureiben, das ihnen Farbe gab. Dann nahm sie eine weitere Flasche und sprühte sich leichte grüne Streifen auf die Wangenknochen.
    »Schick mich nicht so leichtfertig weg«, sagte Steward. »Ich bin reich. Fürs Leben versorgt.«
    Natalie drehte sich zu ihm um. Künstliche Farbe blühte an ihrem schlaffen Kinn. »Ich will kein Geld.« Ihre Stimme war nüchtern. »Ich will nicht wissen, wie du dazu gekommen bist. Du schuldest mir nichts. Du bist nicht für das hier verantwortlich. Alle Verpflichtungen sind mit …« – ein Schatten zog über ihr Gesicht – »mit jemand anderem gestorben.«
    Steward suchte nach Worten. »Ich empfinde … anders.«
    Ihr Blick war direkt. »Das tut mir leid. Es tut mir leid, daß Etienne … dein Alpha … dir nicht die Erinnerungen gegeben hat, die dir helfen würden, zu verstehen, was ich sage. Aber diese Erinnerungen … sie sind nicht gut.« Sie drehte sich wieder zum Spiegel um.
    Ein Wispern der Überraschung durchlief ihn. »Du weißt über meine Erinnerungen Bescheid.«
    Natalie war vor dem Spiegel beschäftigt. Ihre Stimme war abgelenkt, und sie sprach zu ihrem Spiegelbild. »Ja. Dein Arzt hat mich ein paarmal angerufen. Ashley, oder wie er hieß.«
    »Ashraf.«
    »Richtig. Er wollte nicht, daß ich mit dir spreche. Ich war damit einverstanden.«
    Zorn zerrte an Stewards Nerven. Er merkte, wie er die Zähne zusammenbeißen wollte. »Ashraf hat eine Menge auf die eigene Kappe genommen«, sagte er. »Schließlich hat ihn jemand umgebracht.«
    Natalies Augen richteten sich einen Augenblick lang auf ihn, dann wandten sie sich wieder dem Spiegel zu.
    »Ich hab's nicht getan«, erklärte Steward. »Es hatte nichts mit mir zu tun.«
    »Das hab' ich auch gar nicht behauptet.«
    Er verbiß sich seinen Zorn, drängte ihn zurück. Zorn hatte hier nichts zu suchen. Er berührte den Türrahmen und bewegte sich auf Natalie zu, griff nach dem Schlafsack und den Gurten, die sie an der Wand zusammengerollt hatte, und stoppte hinter ihr, so daß er sie im Spiegel sehen konnte. Sie malte sich grüne Flügel über die Augen.
    »Warum rufst du nicht in der Firma an?« sagte er. »Erzähl ihnen, daß du Besuch von außerhalb der Station hast.«
    Sie drehte sich in der Luft um und sah ihn an. Das angemalte, olivbraune, von Gefühlen verzerrte Gesicht sah wie eine peinigende Karikatur von Stewards Erinnerungen aus. Es stach scharf von dem weißen Hals und den weißen Händen ab. Er bemühte sich, nicht zurückzuweichen.
    »Ich hab' in meiner Freizeit was anderes zu tun«, sagte sie. Zorn knisterte in ihrer Stimme. »Ich zeig's dir.« Sie zog sich Hand über Hand zur Tür und stieß sich dann zum Computer-Terminal im Vorderzimmer ab. Steward folgte ihr. »Hier.« Sie drückte heftig auf Tasten. Klagende Synthesizerakkorde kamen aus verborgenen Lautsprechern. Der Schirm wurde flimmernd hell. Steward schwebte hinter ihr her darauf zu.
    Auf dem Schirm war ein Kind zu sehen. Es hing schwerelos in einem Zimmer, ein Keyboard vor die Brust geschnallt. Kurze, dicke Finger bewegten sich fachmännisch über die Tasten. Die Klänge schabten über Stewards Nerven. Sein Herz setzte für einen Schlag aus, als er sah, was nicht stimmte.
    Das lächelnde Gesicht war glatt, rund und friedlich. Vielleicht hatte es nie einen anderen Ausdruck gehabt. Der Kopf wirkte sonderbar proportioniert, die Augen waren nach oben gerollt und weitgehend von den Lidern verborgen. Die Beine waren verkrüppelt und nur halb so groß, wie sie sein sollten.
    »Mein Sohn«, sagte Natalie. »Spaltwirbel, schwere Retardierung der Sprachzentren, an der Grenze zum Autismus. Viele seiner Chromosomen sind auf Sheol kaputtgegangen. Er heißt Andrew.«
    Die Musik war mißtönend, langsam, bedächtig. Irgendwie gekonnt. Steward beobachtete das Gesicht, den introvertierten Ausdruck, und spürte, wie Kälte sein Inneres berührte, eine Mischung aus Entsetzen und Schmerz. Er fragte sich, ob er dieses Kind auch lieben könnte.
    »Schwerkraft würde ihn töten. Er wird nur überleben, wenn er im Raum bleibt«, sagte Natalie.

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