Die Stimme des Wirbelwinds
war er auf der Erde. Er nahm sich eine kleine Wohnung mit Blick auf den Aralsee und verbrachte Stunden damit, den Steppenwind zu beobachten, der über das Wasser jagte. Er versuchte sich darüber klar zu werden, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Er überlegte, welche Beschäftigung ihm erlauben würde, ganz und gar anonym zu bleiben.
Eines Tages kam es ihm einfach, eine Erkenntnis, die sich aus dem Nichts in seinen Geist senkte. Ein Geschenk der Leere. Er begriff, daß er sich in jeder Hinsicht geirrt hatte.
Er begann Vorbereitungen zu treffen. Wissen bedeutete, daß man handeln mußte.
19
Los Angeles. Nacht.
Eine der Wohnökologien am Horizont von Orange County wurde von einem rotierenden Scheinwerfer gekrönt, ein Meisterstück der Arroganz; grellweißes Feuer stach alle paar Sekunden in den Raum und verwandelte das Bett, den Tisch und die Lampe in aufblitzende Monochrombilder, nur Schwarz und Silber. Steward saß still in der sicheren Dunkelheit eines langen, tiefen Schattens, atmete langsam und lauschte dem Summen seiner Nerven und seines Geistes. Kein Laut war zu hören, nur das Geräusch der zirkulierenden Luft. Es klang wie ferner Applaus.
Steward wartete, baute Kraft auf. Er hatte alle Geduld der Welt.
Sein Geist war höchst aktiv. Eine endlose Ovation kam aus der Lüftung. Im Nacken spürte er die Berührung des Wirbelwinds.
Endlich ertönte ein neues Geräusch, der massive, dumpfe Laut eines zurückgleitenden elektromagnetischen Riegels. Dann Schritte. Ein Zischen komprimierter Luft, ein kurzer Atemzug. Wieder Schritte. Dann das Klicken eines Lichtschalters. Der aufblitzende Strahl der fernen Wohnöko wurde in Licht ertränkt.
Griffiths verwüstetes Gesicht starrte in den Lauf von Stewards Pistole. Er erstarrte. Der Inhalator in seiner isolierenden Plastikhülle lag noch in seiner Hand. Auf den Metallteilen war ein leichter Eishauch zu sehen.
»Na, dröhnst du dich grade voll, Kumpel?« fragte Steward. Er erhob sich von der Couch und ging auf Griffith zu.
Nur Griffiths Augen bewegten sich. Sie zuckten von Stewards Hand zu seinen Füßen, seinem Körper, seiner anderen Hand. Nahmen Maß. »Ich hab' jetzt aufgerüstete Nerven, Kumpel«, erklärte ihm Steward. »Ich kann dich töten, bevor du auch nur was versuchen kannst. Also probier's gar nicht erst, okay? D'accord.«
Mit seiner ganzen Kraft rammte Steward den Ballen seines rechten Fußes in Griffiths Solarplexus. Die Luft entwich aus dem kleineren Mann, und er klappte zusammen. Er schlug mit der Schulter und der Seite des Gesichts hart auf den Boden. Die Finger am Inhalator waren weiß.
Steward durchsuchte ihn nach Waffen, fand keine und trat zurück. Griffith rang immer noch nach Atem.
»He«, sagte er. »Das ist doch gar nichts im Vergleich zu dem, was du mit Dr. Ashraf angestellt hast. Stimmt's?«
Griffith versuchte zu sprechen. Tränen rollten ihm übers Gesicht. Steward beobachtete ihn. »Nur die Ruhe«, sagte er. »Wir haben die ganze Nacht Zeit.« Er trat zurück und setzte sich aufs Bett.
Griffith krallte sich in den Türrahmen, zog sich hoch, bis er aufrecht saß, und lehnte sich an den Rahmen. Er hatte die Arme um den Bauch geschlungen und preßte fest zu, um den Schmerz zu lindern. »Wie«, brachte er heraus.
»Ich hatte es schon beinahe auf der Reihe, Freund«, sagte Steward. »Ich bin als Tarnung für eine Mission gegen die Mächte-Delegation auf Ricot benutzt worden. Ich dachte, Reese würde für Gruppe Sieben arbeiten – das hätte einen Sinn ergeben. Dann wurde mir jedoch klar, daß an diesem Szenario aber auch gar nichts stimmte.« Griffith atmete keuchend. Steward sah ihn an. »Willst du 'ne Zigarette oder was? Nur zu!«
Griffith schloß die Augen. »Jesus.«
»Hörst du mir auch gut zu, Kumpel? Siehst du, auf Charter ist ein echter Agent von Gruppe Sieben an mich herangetreten und hat versucht, mich für eine ähnliche Mission anzuwerben. Sein Name war Stoichko, und jemand hat ihn erschossen, als er sich gerade an mich ranmachte. Ich hab' erst jetzt rausgekriegt, warum er sterben mußte.
Reese hat ihn getötet. Sie wohnte im selben Hotel wie Stoichko. Sie hat mir erzählt, sie hätte ihre Pläne geändert, nachdem sie einen alten Freund getroffen hätte, aber diesen Freund hab' ich nie gesehen. Also kam ich zu dem Schluß, daß es so gelaufen sein muß: Reese hat gesehen, wie Stoichko mir folgte, und hat ihn wiedererkannt. Sie wußte, daß er mich für irgendwas anzuwerben versuchte, aber nicht wofür. Sie
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